Schleppvertrag, nautisches Verschulden und Obhutshaftung

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    Kritische Anmerkung zu den Urteilen des BGH vom 1. Juni 2017 und des OLG Frankfurt vom 26. Januar 2016

    Die Entscheidung des Oberlandesgerichtes Frankfurt vom 26. Januar 2016 (ZfB 2016, Sammlung Seite 2412 ff) sowie des Bundesgerichtshofes vom 1. Juni 2017 (ZfB 2017, Sammlung Seite 2493 ff) geben Veranlassung, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, ob ein Schleppvertrag, traditionell auch Remorkvertrag genannt, rechtliche als Frachtvertrag oder als Werkvertrag zu qualifizieren ist. Dies hat massive rechtliche Konsequenzen:

    Während bei einem Werkvertrag nur für schuldhafte Nebenpflichtverletzungen oder schuldhaft deliktsrechtlich für Schäden am Gegenstand des Werkvertrages gehaftet wird, unterliegt der Frachtführer eines Frachtvertrages der verschuldensunabhängigen Obhutshaftung. Wird also ein Schleppvertrag als Werkvertrag qualifiziert, dann muss der Geschädigte darlegen, dass der Schaden auf ein schuldhaft pflichtwidriges Handeln des Vertragspartners zurückzuführen ist. Wird der Schleppvertrag dagegen als Frachtvertrag qualifiziert, reicht es zur Haftung des Frachtführers aus, wenn die Sache dem Frachtführer unbeschädigt übergeben und am Empfangsort beschädigt »gelöscht« (ein für den Remorkvertrag wenig passender Ausdruck) wurde. Während nach Werkvertragsrecht der Unternehmer grundsätzlich unbeschränkt haftet, unterliegt die verschuldensunabhängige Obhutshaftung des Frachtführers der Haftungsbeschränkung nach HGB und bei internationalen Transporten nach CMNI. Wird der Schleppvertrag als Frachtvertrag qualifiziert, dann ist grundsätzlich die Möglichkeit eröffnet, den schiffahrtsüblichen Haftungsausschluss für Navigationsfehler/nautisches Verschulden individualvertraglich oder über IVTB zu vereinbaren. Zum Beispiel in den Niederlanden ist dies ohnedies kraft Gesetzes geltendes Recht für den Frachtvertrag. Auch im Rahmen eines Werkvertrages kann der Haftungsausschluss für nautisches Verschulden individualvertraglich oder unter Bezugnahme auf die Internationalen Schub- und Schleppbedingungen vereinbart werden.

    Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main und der Bundesgerichtshof hatten über einen Fall zu urteilen, in dem ein Neubaukasko auf Seit eines Tankmotorschiffes verschleppt wurde. Dieser Schleppverband ist mit einem entgegenkommenden Schiff in der Mitte der 300 m breiten Donau kollidiert. Das Oberlandesgericht Frankfurt hat diesen Fall unter dem Gesichtspunkt des Frachtrechtes mit folgendem Ergebnis entschieden: Der Schaden am Kasko von insgesamt fast 250.000,00 € unterliegt der Obhutshaftung und gleichzeitig der Haftungsbeschränkung nach CMNI. Das Gericht hat das gesamte Neubaukasko als »Packung« im Sinne des Artikels 20 I Satz 1 CMNI angesehen mit der Folge, dass der Haftungshöchstbetrag von 666,67 RE greift, also ein Betrag von zur Zeit rund 695,00 €. Dieses Ergebnis hätte der Absender nur vermeiden können, wenn er in die Frachturkunde mit seinem Vertragspartner das tatsächliche Gewicht des Kaskos oder den Wert des Kaskos aufgenommen hätte, was nicht geschehen war.

    Leider sah sich das Oberlandesgericht Frankfurt anders als die Vorinstanz (die die Vereinbarung ohne Belehrung als wirksam angesehen hat) nicht gezwungen, die Wirksamkeit des Haftungsausschlusses für nautisches Verschulden zu prüfen. Hier wird diskutiert, ob es für einen wirksamen Haftungsausschluss für Navigationsfehler nach Artikel 25 II lit. a CMNI notwendig ist, die Ausnahmetatbestände der Artikel 3 III Satz 2 iVm 25 II lit. a 2.HS CMNI in der vertraglichen Vereinbarung zu zitieren, die zum Wegfall dieses Haftungsausschlusses führen. Leider haben sich BGH und OLG zu diesem Punkt nicht geäußert. Nach Auffassung des Unterzeichners wäre der Haftungsausschluss für nautisches Verschulden im vorliegenden Fall wirksam gewesen, wie das Landgericht Frankfurt in I. Instanz zutreffend angenommen hat. Es kann nicht richtig sein, dass man in einem Vertrag zwischen dem Auftraggeber eines Binnenschiffstransportes und einem Schiffahrtsunternehmer, also in einem Vertrag zwischen Kaufleuten, eine gesetzliche Bestimmung zitieren muss, die den Vertrag schließenden Parteien bekannt sein kann und muss. Es ist ein Gesichtspunkt des Verbraucherschutzes, bestimmte Belehrungen des anderen Teiles in einen Vertrag aufzunehmen. In einem professionellen Frachtvertrag über einen Binnenschiffstransport haben solche Belehrungen nichts zu suchen. Dies gilt umso mehr, als der Haftungsausschluss für nautisches Verschulden schiffahrtsüblich und zum Beispiel in den Niederlanden sogar Gesetz ist.

    Die Vorinstanz, das Landgericht Frankfurt am Main, Urteil vom 4. Januar 2013, Az.: 3-15 O 97/11, hat sich mit dieser Frage auseinandergesetzt und mit überzeugenden Gründen die Wirksamkeit des Haftungsausschlusses bejaht:

    »Eine Haftung der Beklagten für nautisches Verschulden ist von den Vertragsparteien der Vereinbarung vom 15. September 2010 nach Art. 25 Abs. 2 a CMNI wirksam ausgeschlossen.

    Vorliegend haben die Parteien der Vereinbarung vom 15. September 2010 die Anwendung des Budapester Übereinkommen über den Vertrag über die Güterbeförderung in der Binnenschifffahrt (CMNI) vereinbart. Dies ergibt sich aus der gewählten Formulierung »Es gilt das niederländische Transportrecht nach CMNI«. Die Kammer legt den Parteiwillen dahingehend aus, dass die Vertragspartner in erster Linie die Vorschriften des CMNI zugrunde legen und ergänzend im Sinne des Art. 29 Abs. 1 CMNI die Anwendung des niederländischen Transportrechts vereinbaren wollten. Insofern kann dahinstehen, ob die Anwendbarkeit des CMNI ohne die ausdrückliche Vereinbarung hier an Art. 1 Ziffer 7 CMNI scheitern würde, da der Schiffskasko unter Umständen als geschlepptes Schiff angesehen werden könnte. Jedenfalls haben die Vertragsparteien vorliegend die Anwendbarkeit des CMNI in toto gerade für den hier vorliegenden Fall der Beförderung des Schiffskaskos vereinbart (vgl. dazu MünchKommHGB/Otte, CMNI, vor Art. 1 Rdnr. 9). Letztlich kann auch dieser Umstand dahinstehen, denn die hier entscheidende Haftungsprivilegierung des Art. 25 Abs. 2 CMNI ist inhaltlich gleichgelagert zu Art. 8-901 Burgerlijke Wetboek. Dass der Vereinbarung der Anwendung von niederländischem Transportrecht die Verordnung Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (»Rom 1«) nicht entgegensteht, ergibt sich aus Art. 3 Abs. 1 dieser Verordnung.

    Eine Haftungsbefreiung für nautisches Verschulden ist wirksam vereinbart worden.

    Soweit die Klägerin unter Bezugnahme auf eine verschiedentlich in der Literatur vertretene Ansicht meint, dass in der Vereinbarung selbst jedenfalls die Tatbestände nach Art. 25 CMNI aufgeführt werden müssen, die Voraussetzung einer Haftungsfreizeichnung im konkreten Schadensfall sind, teilt die Kammer diese Ansicht nicht. Soweit gefordert wird, dass in der Vereinbarung der Haftungsbeschränkung aufgenommen werden muss, dass diese nur unter der Voraussetzung zum Tragen komme, dass der Frachtführer das Schiff ordnungsgemäß bemannt habe und der Schaden von der Besatzung nicht qualifiziert verursacht worden sei, wird dies mit der davon ausgehenden Warnfunktion begründet (Koller, HGB Art. 25 CMNI Rdnr. 2). Dies erschließt sich der Kammer nicht. Ein derartiger Hinweis auf die genannten Umstände ist nicht geeignet, den Vertragspartner des Frachtführers zu warnen, da diese Umstände für den Vertragspartner nur günstig sind und die Haftungsfreizeichnung gerade beschränken bzw. von der Erfüllung verschiedener Pflichten des Frachtführers abhängig machen. Eine Warnung des Vertragspartners ist damit gerade nicht verbunden. Soweit vertreten wird, dass der Frachtführer selbst durch den erläuternden Hinweis in der Freizeichnung selbst gewarnt und geschützt werden sollte, macht dies keinen Sinn. Da die von der Klägerin angeführte Literaturansicht auch keine Stütze im Wortlaut des Art. 25 CMNI findet, lehnt die Kammer diese Ansicht ab. Es muss genügen, wenn die Haftung für nautisches Verschulden vertraglich schlicht ausgeschlossen wird.«

    Diesen überzeugenden Ausführungen ist uneingeschränkt zuzustimmen. Aus den dargelegten Gründen muss es für die Wirksamkeit eines Haftungsausschlusses für Navigationsfehler reichen, wenn im Vertrag vereinbart wird: »Der Frachtführer haftet nicht für nautisches Verschulden«.

    Im Übrigen zeigt gerade der vorliegende Fall, dass die rechtliche Qualifikation eines Schleppvertrages als Frachtvertrag äußerst zweifelhaft ist und nach Überzeugung des Unterzeichners den tatsächlichen Gegebenheiten im Rahmen eines Schub- oder Schleppvertrages nicht gerecht wird. Die Vertragsstaaten des CMNI haben mit der Formulierung des CMNI unmissverständlich klargestellt, dass geschleppte und geschobene Schiff gerade nicht Güter im Sinne des Artikel 1 Ziffer 7 CMNI sind, was die Konsequenz hat, dass der Vertrag über das Verschieben oder Verschleppen eines Schiffes nicht dem CMNI unterliegt. Nach dem Willen der Vertragsstaaten soll also Frachtrecht für derartige Verträge gerade nicht gelten.

    Mit der Argumentation, ein Neubaukasko sei kein Schiff im Sinne des CMNI, konnte das Oberlandesgericht Frankfurt diese Klippe umschiffen. Dies ist wenig überzeugend. Auch ein nicht motorisierter Leichter ist ein Schiff im Sinne des CMNI. Die Tatsache, dass ein Neubaukasko noch nicht über eine funktionsfähige Maschine verfügt, macht dieses Kasko nicht zu einem Packstück im Sinne des CMNI. Auch ein Kasko ist ein Schiff, i.S.d. Schiffahrtsrechtes. Es schwimmt, hat die Zweckbestimmung, als Schiff eingesetzt zu werden und – was am Wichtigsten ist – hat auf die nautischen Eigenschaften des gesamten Verbandes massiven Einfluss. Dies ist bei Gütern, die auf Deck transportiert werden, grundsätzlich anders. Zwar haben Güter Einfluss auf die Eintauchtiefe des Schiffes und damit auf die nautischen Eigenschaften, von den im oder auf dem Schiff liegenden Gütern selbst aber geht in der Regel keinerlei Einfluss oder gar Risiko auf oder für den nautischen Betrieb aus. Anders ist dies beim Mitschleppen eines auf Seit oder voraus gekoppelten Leichters, Schiffes oder Neubaukaskos. Die gesamte nautische Qualität dieses Verbandes ändert sich durch die Koppelung. Das mitgeführte Schiff oder der mitgeführte Leichter unterliegen einem eigenen nautischen Risiko, das vom Vorgang des Verschleppens völlig unabhängig sein kann, zum Beispiel dem Risiko von Leckagen. Ein auf Seit mitgeführtes Schiff oder Leichter ist ein Teil der nautischen Einheit, hat zum Beispiel Einfluss auf die Stärke der gesetzlich vorgeschriebenen Bemannung und unterliegen im Übrigen einem eigenen nautischen Risiko der Binnenschiffahrt, anders als dies für die im Laderaum eines Schiffes oder auf Deck vorhandenen Güter der Fall ist.

    Das traditionell und sachlich das Mitschleppen eines Schiffes auf Seit nicht dem Frachtrecht unterliegt, zeigt auch die Tatsache, dass die bestehenden Strukturen der Haftpflichtdeckung in der Binnenschiffahrt mit dieser Rechtsauffassung kaum in Übereinstimmung zu bringen ist. Grundsätzlich deckt die Haftpflichtdeckung einer Flusskaskopolice oder ADS-Deckung im Rahmen des Ersatzes an Dritte Schäden an fremden Sachen, wozu auch mitgeführte Schiffe gehören. Ladungsschäden dagegen sind im Rahmen einer T&H Deckung oder einer P&I Police versichert, regelmäßig unter Ausschluss von Schäden an mitgeschleppten Schiffen. Die Versicherungswirtschaft hat also das Risiko von mitgeschleppten Schiffen als Teil der Haftpflichtdeckung für Kaskoschäden und nicht der Frachtführerhaftpflicht angesehen. Siehe dazu auch BGH, Urteil vom 27. Mai 2015 mit Anmerkung ZfB 2015, Sammlung Seite 2377 ff..

    Insbesondere aufgrund der vorstehend benannten nautischen Gegebenheiten ist es nach Überzeugung des Unterzeichners nicht sachgerecht, die Regeln über die Obhutshaftung und Haftungsbeschränkung auf Schub- oder Schleppverträge anzuwenden. Diese Verträge unterliegen ganz anderen Bedingungen als der Transport von Gütern im oder auf dem Schiff, was international zum Beispiel auch durch die Schub- und Schleppbedingungen des VBW und der IVR deutlich wird. Diese Bedingungen enthalten nautisch begründete Bestimmungen und gehen grundsätzlich von einer Verschuldenshaftung, ähnlich dem Werkvertragsrecht, aus. Im Hinblick auf die – sich in Deutschland entwickelnde und vom Unterzeichner kritisierte – Rechtsprechung sahen sich die Autoren der Schub- und Schleppbedingungen gehalten, für das deutsche Recht Sonderbestimmungen aufzunehmen. Hätte es die beschriebene deutschrechtliche Entwicklung der Rechtsprechung nicht gegeben, so wären diese Bestimmungen sicher nicht aufgenommen worden.

    Die rechtliche Einordnung eines Remorkvertrages, Schleppvertrages und die Abgrenzung von Frachtvertrag und Werkvertrag sind immer auch von den Umständen des Einzelfalles abhängig (für den Fall der Schlepphilfe entschieden durch die Berufungskammer der Zentralkommission für die Rheinschifffahrt, ZfB 2017, Sammlung Seite 2460 f mit Anmerkungen Fischer; siehe auch die Anmerkungen Holland, Transportrecht 2017, Heft 7/8, Seite 303 ff). Die Qualifizierung eines Remorkvertrages oder Schleppvertrages als Frachtvertrag führt zu Obhutshaftung und Haftungsbeschränkung, die Qualifizierung als Werkvertrag zu einer reinen Verschuldenshaftung ohne Haftungsbeschränkung (abgesehen von der generellen Haftungsbeschränkung nach CLNI). Nach Auffassung des Unterzeichners spricht in objektiver, parteiunabhängiger Betrachtung der Sachlage und rechtlichen Regelungen sehr viel mehr für die Qualifizierung eines Remorkvertrages oder Schleppvertrages als Werkvertrag. Die Anwendung von Frachtvertragsrecht führt zu Friktionen und im Einzelfall zu überraschenden Ergebnissen, wie die Entscheidungen des Oberlandesgerichtes Frankfurt vom 26. Januar 2016 und des Bundesgerichtshofes vom 1. Juni 2017 zeigen.
    Dr. Martin Fischer