Straftaten an Bord eines Schiffes

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Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, Körperverletzung und Beleidigung, die an Bord eines Schiffes begangen werden, unterliegen der Zuständigkeit der Schiffahrtsgerichte gemäß § 2 III lit. a BinSchVerfG.

Ein Strafbefehl, der auf Antrag einer unzuständigen Staatsanwaltschaft von einem sachlich unzuständigen Gericht erlassen wurde, wird nach Einspruch des Beschuldigten zu einem Strafbefehlsantrag, der einer Anklage gleichsteht. In analoger Anwendung des § 225a IV iVm I StPO darf das sachlich und örtlich zuständige Schiffahrtsgericht das Verfahren übernehmen, das Verfahren muss nicht wegen eines Verfahrenshindernisses nach § 206a StPO eingestellt werden. Der Übernahmebeschluss hat die Wirkung eines Eröffnungsbeschlusses.

In der Regel sind die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten, soweit sie durch die von vorneherein fehlerhafte Anklage beim allgemeinen Strafrichter entstanden sind, auch im Falle einer Verurteilung des Angeklagten der Staatskasse aufzuerlegen.

Beschluss des Schiffahrtsobergerichtes Karlsruhe vom 12. Juni 2017, Az.: 4 WS 1/17; Beschluss vom 2. März 2017, Urteil vom 22. August 2017 sowie Beschluss vom 18. November 2017 des Schiffahrtsgerichtes Mannheim, Az.: 50 Cs 201 Js 33031/16 BSch.

Vorbemerkung der Redaktion:

Nicht selten wird auch in Strafsachen die spezielle schifffahrtsrechtliche Zuständigkeit nach § 2 III BinSchVerfG (wie auch die besondere Zuständigkeit in Bußgeld­sachen auf dem Rhein nach Artikel 34 I MA) von den Ermittlungsbehörden und den örtlich zuständigen allgemeinen Gerichten verkannt. Strafsachen und Ordnungswidrigkeiten, die an Bord eines Schiffes oder im Zusammenhang mit dem Betrieb eines Schiffes begangen werden, unterliegen der speziellen Zuständigkeit der Schifffahrtsgerichte, respektive Rheinschiffahrtsgerichte und der angeschlossenen Staatsanwaltschaften. Mit zutreffender Begründung hat das Schiffahrtsgericht Mannheim diese Vorschrift weit ausgelegt (dazu auch Amtsgericht Obenburg mit Anmerkungen ZfB 2014, Sammlung Seite 2313 und 2315).

Das Verfahren vor dem unzuständigen Gericht könnte wegen eines Verfahrenshindernisses gemäß § 206a StPO eingestellt werden (siehe dazu ausführlich ZfB 2010, Sammlung Seite 2111 ff.); nach sorgfältig begründeter Auffassung des Schiffahrtsobergerichtes Karlsruhe ist aber auch eine Verweisung an das zuständige Schiffahrtsgericht in analoger Anwendung nach § 225a StPO zulässig. Im materiellen Strafrecht herrscht nach dem Grundsatz nulla poena sine lege ein absolutes Analogieverbot, das nach der zitierten Entscheidung des Schiffahrts­obergerichtes Karlsruhe aber nicht grundsätzlich eine analoge Anwendung von prozessualen Vorschriften des Strafverfahrensrechtes ausschließt.

Die dem Hauptverfahren vorrangegangenen prozessualen Komplikationen verursachen für die Verteidigung einen ganz erheblichen Mehraufwand, um sicherzustellen, dass das Verfahren vor dem gesetzlichen Richter geführt wird. Deshalb hat das Schiffahrtsgericht Mannheim zu Recht diesen Teil der Verfahrenskosten und Rechtsanwaltsgebühren trotz Verurteilung des Angeklagten der Staats­kasse auferlegt.

Rechtsanwalt Dr. Martin Fischer, Frankfurt am Main

Beschluss des Schiffahrtsobergerichtes:

Die Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss des Amtsgerichts – Schifffahrtsgerichts – Mannheim vom 2. März 2017 wird kostenpflichtig als unzulässig verworfen.

Gründe:

Am 21.7.2016 erließ das Amtsgericht – Strafrichter – Heidelberg gegen den Angeklagten einen Strafbefehl wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Körperverletzung und Beleidigung, weil er sich am 11.3.2016 im Bereich der Neckarschleuse bei Neckarkilometer 26,14 im Rahmen einer schiffspolizeilichen Kontrolle auf seinem Güterschiff weigerte, das Bordbuch und sein Patent vorzulegen, und den kontrollierenden Beamten körperlich mißhandelte und beleidigte.

Nach rechtzeitiger Einspruchseinlegung rügte der Verteidiger in der Hauptverhandlung vom 8.9.2016 – vor der Vernehmung des Angeklagten zur Sache – die Zuständigkeit des Amtsgerichts Heidelberg, weil eine in die Zuständigkeit des Schifffahrtsgerichts Mannheim fallende Binnenschifffahrtssache vorliege.

Nach Aussetzung der Hauptverhandlung legte das Amtsgericht Heidelberg gemäß § 225a StPO analog das Verfahren dem Amtsgericht – Schifffahrtsgericht – Mannheim zur Übernahme vor. Mit Beschluss vom 2.3.2017 übernahm das Schifffahrtsgericht Mannheim das Verfahren gemäß § 225a Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 StPO analog.

Gegen diesen Beschluss legte der Angeklagte mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 24.3.2017 Beschwerde ein. Er ist der Auffassung, dass eine analoge Anwendung des § 225a StPO ausscheide und das Amtsgericht Heidelberg das Verfahren gemäß § 206a StPO wegen örtlicher Unzuständigkeit hätte einstellen müssen. Anschließend hätte eine neue Anklageerhebung beim zuständigen Schifffahrtsgericht Mannheim erfolgen können.

Die Beschwerde des Angeklagten gegen den Übernahmebeschluß vom 2.3.2017 ist analog § 225a Abs. 3 Satz 3 StPO unzulässig.

Zu Recht hat das Schifffahrtsgericht den Übernahmebeschluss auf die entsprechende Anwendung des § 225a StPO gestützt. Nach Absatz 1 Satz 1 dieser Vorschrift hat eine Vorlage zur Übernahme an das Gericht höherer Ordnung zu erfolgen, wenn dessen (sachliche) Zuständigkeit gegeben ist. Weiterhin verweist Absatz 4 Satz 1 der Vorschrift auf das Verfahren nach den Absätzen 1 bis 3, wenn (nach Eröffnung des Hauptverfahrens und außerhalb einer Hauptverhandlung) eine allgemeine Strafkammer die Zuständigkeit einer besonderen Strafkammer (i.S.d. Vorrangregelung gemäß § 74e GVG) für gegeben ansieht. Sinn und Zweck dieser – sowie der in §§ 209, 270 StPO normierten – Regelungen ist es, Zuständigkeitsfragen möglichst schnell und ökonomisch zu bereinigen. Daher ist die analoge Anwendung der für die Bestimmung der sachlichen Zuständigkeit in der StPO gegebenen Regeln auf das Verhältnis zwischen gleichrangigen allgemeinen Spruchkörpern und besonderen Spruchkörpern kraft Gesetzes zulässig und geboten (vgl. auch Rieß, GA 1976, 1, 19).

Vorliegend ergibt sich die (sachliche) Zuständigkeit des Schifffahrtsgerichts Mannheim bezüglich des dem Angeklagten gemachten Vorwurfs aus § 2 Abs. 3 Satz 1 Buchstabe a des Gesetzes über das gerichtliche Verfahren in Binnenschifffahrtssachen (BinSchVfG); auf die zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Beschluss unter Ziffer II. 1 wird vollumfänglich Bezug genommen. Für die sehr seltenen Fälle der konkurrierenden Zuständigkeit zwischen der allgemeinen sachlichen Zuständigkeit des Amtsgerichts in Strafsachen und der (besonderen) Zuständigkeit des Schifffahrtsgerichts in Strafsachen fehlt eine ausdrückliche Regelung. Da es sich um eine Frage der (von Amts wegen in jedem Stadium des Verfahrens zu prüfenden) sachlichen Zuständigkeit und nicht der örtlichen Zuständigkeit von Gerichten gleicher Ordnung handelt (vgl. OLG Karlsruhe, VRS 48, 285 und B. v. 19.4.2000 – 1 Ss 46/00; OLG Düsseldorf, VRS 59, 447), ist eine analoge Anwendung des § 225a Abs. 4 Satz 1 StPO zulässig und geboten (vgl. auch LG Würzburg, B. v. 23.3.2010 – 1 Qs 71/10). Ähnlich wie die Wirtschaftsstrafkammer eines Landgerichts aufgrund ihrer Sachkunde für bestimmte Straftaten – nach Zuweisung auch in anderen Landgerichtsbezirken (§ 74 Abs. 3 GVG) – zuständig ist, beruht auch die Regelung der Zuweisung bestimmter Strafsachen nach § 2 Abs. 3 BinSchVfG auf der Erwägung des Gesetzgebers, dass die Beurteilung solcher Strafsachen eine besondere Sachkunde verlangt (BGH, B. v. 20.4.1979 – 2 ARs 76/79).

In Folge zutreffender (analoger) Anwendung des § 225a Abs. 4 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 StPO ist die Beschwerde des Angeklagten nach § 225a Abs. 3 Satz 3 StPO unzulässig. Sie wäre aus dem oben Gesagten auch unbegründet.

Soweit der Verteidiger des Angeklagten die Besorgnis hegt, dass durch die analoge Anwendung des § 225a StPO eine Einstellung mit entsprechender Kosten- und Auslagenentscheidung (§§ 206a, § 467 Abs. 1 StPO) vermieden werden soll, wird übersehen, dass im Falle einer Verurteilung die Möglichkeit besteht, von der – auch teilweisen – Erhebung von Gerichtskosten (§ 21 GKG) abzusehen. Ob auch die Erstattung der dem Angeklagten durch den Hauptverhandlungs­termin vor dem Amtsgericht Heidelberg entstandenen notwendigen Auslagen möglich ist und insbesondere der Billigkeit entspricht (vgl. § 465 Abs. 2 StPO) – insbesondere wenn man berücksichtigt, dass dem in Schifffahrtssachen erfahrenen Verteidiger die Unzuständigkeit des Amtsgerichts Heidelberg mit hoher Wahrscheinlichkeit schon vor der Durchführung des Hauptverhandlungstermins bekannt war, zu dem vier Zeugen geladen und erschienen waren, – wird das Schifffahrtsgericht in eigenen Zuständigkeit zu prüfen haben.

Aus den Entscheidungen des Schiffahrtsgerichtes:

Übernahmebeschluss vom 2. März 2017:

… II. Das Verfahren war als Schifffahrtssache in analoger Anwendung von § 225a StPO vom Amtsgericht Mannheim -Schifffahrtsgericht – zu übernehmen.

1. Die sachliche Zuständigkeit des Schifffahrtsgericht ergibt sich aus § 2 Abs.3 lit. a) BinSch-GerG. Danach ist das Schifffahrtsgericht für dem amtsgerichtlichen Strafbann unterliegende Straftaten an Binnengewässern zuständig, die unter Verletzung von schifffahrtspolizeilichen Vorschriften begangen worden sind und deren Schwerpunkt in der Verletzung dieser Vorschriften liegt. Dabei ist ein weiter Auslegungsmaßstab zugunsten der Schifffahrtssache geboten (v. Waldstein/Holland, Binnenschifffahrtsrecht 5. Auflage, § 2 BinSchVerfG Rn. 11). So genügt es, wenn wie vorliegend im Vorfeld der vorgeworfenen Tat ein Verstoß gegen schifffahrtspolizeiliche Vorschriften in Rede steht, da auch dann die besondere Sachkompetenz und Erfahrung des Schifffahrtsgericht gefordert ist (vgl. Hofmann, Die gerichtliche Zuständigkeit in Binnenschiffahrtssachen 1. Aufl. 1996, 5.198; unter Verweis auf AG Mainz, Beschl. v. 21.3.1995 für den Fall des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte der Wasserschutzpolizei) …

Aus dem Beschluss vom 18. November 2017:

Der Angeklagte trägt die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen mit Ausnahme der durch die Anrufung des unzuständigen Gerichtes entstandenen Kosten und notwendigen Auslagen, die der Staatskasse auferlegt werden …

Aus dem Urteil vom 22. August 2017:

… VI. Der Antrag des Angeklagten, das Verfahren wegen eines Verfahrens­hindernisses gemäß § 206 a StPO einzustellen, ist unbegründet. Dass der Strafbefehl durch das Amtsgericht Heidelberg erlassen worden ist, steht einer wirksamen Anklage nicht entgegen. Mit dem Einspruch gegen den Strafbefehl erhält dieser die Funktion eines Strafbefehls­antrages, der der Anklage gleichsteht. Ist diese von einer unzuständigen Staatsanwaltschaft erhoben worden, hat diese die Aufgabe, die Anklage an die zuständige Staatsanwaltschaft weiterzuleiten. Die zuständige Staatsanwaltschaft leitet sie dann mit ihrer Stellungnahme an das zuständige Gericht weiter (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 60. Aufl., § 225a StPO, Rn. 7). Dies ist hier geschehen. Der Übernahmebeschluss vom 02.03.2017 hat die Wirkung eines Eröffnungsbeschlusses (vgl. Meyer-Goßner aaO Rn. 16).

VII. Die Kostenentscheidung beruht auf § 465 Abs. 1 StPO.

Das Gericht hat davon abgesehen, dem Angeklagten auch die Kosten des Verfahrens sowie die notwendigen Auslagen durch die Anrufung des unzustän­digen Gerichts aufzuerlegen.

Fälschlicherweise erfolgte der Antrag des Strafbefehls beim Amtsgericht Heidelberg und nicht beim Amtsgericht Mannheim – Schifffahrtsgericht. Durch entsprechenden Verweisungsbeschluss gelangte die Sache an das Schifffahrtsgericht. Das Schifffahrtsobergericht hat diese Vorgehensweise mit Beschluss vom 12.06.2017 als rechtmäßig bestätigt (4 Ws 1/17) und in einer Segelanweisung darauf hingewiesen, dass das Schifffahrtsgericht in eigener Zuständigkeit prüfen werde, ob auch die Erstattung der dem Angeklagten durch den Hauptverhandlungstermin vor dem Amtsgericht Heidelberg notwendigen Auslagen möglich sei und insbesondere der Billigkeit entspreche (vgl. § 465 II StPO). Dabei könne berücksichtigt werden, dass dem in Schifffahrtssachen erfahrenen Verteidiger die Unzuständigkeit des Amtsgerichts Heidelberg mit hoher Wahrscheinlichkeit schon vor der Durchführung des Hauptverhandlungstermines bekannt gewesen sei. Ungeachtet dessen hält das Schifffahrtsgericht die Auferlegung der Kosten und notwendigen Auslagen insoweit zu Lasten des Angeklagten für nicht sachgerecht. Tatsächlich erfolgte von vornherein fehlerhaft die Anklage beim allgemeinen Strafrichter. Deswegen kann dahingestellt bleiben, ob der Verteidiger des Angeklagten sich so frühzeitig über die strafrechtliche Situation informiert hat, dass er das Gericht rechtzeitig darauf hätte hinweisen können, und ob ihn insoweit auch eine Verpflichtung trifft …

Mitgeteilt durch Rechtsanwalt Fink v. Waldstein