Wenden auf dem Rhein

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Ein bergfahrendes Schiff wird nicht gefährdet oder gezwungen, unvermittelt Kurs oder Geschwindigkeit zu ändern, wenn ein im Gebirge bei Rhkm 591 zu Tal fahrendes Fahrgastschiff etwa einen Kilometer bergwärts des Bergfahrers aufdreht. Der Schiffsführer des Fahrgastschiffes »vergewissert« sich im Sinne des § 6.13 Nr. 1 RhSchPV, wenn er sich durch Beobachtung des Reviers Klarheit über die Zulässigkeit des Wendens verschafft, es ist nicht erforderlich, dass er das Wendemanöver mit Schiffen im Revier abspricht oder eine akustische Bestätigung des Ankündigungssignales nach § 6.13 Ziffer 2 RhSchPV abwartet, was diese Vorschrift gerade nicht anordnet. Das Unterlassen des Ankündigungssignales nach § 6.13 Ziffer 2 RhSchPV ist nur dann haftungsbegründend, wenn die Unterlassung ursächlich für die Havarie war.

Ist ein Wendemanöver zulässig eingeleitet und rechtzeitig angekündigt, müssen andere Schiffe ihre Geschwindigkeit und ihren Kurs ändern, damit das Wenden ohne Gefahr geschehen kann, gegebenenfalls müssen sie das freigelassene Fahrwasser für die Bergfahrt nutzen. Hat das aufdrehende Schiff angekündigt am linksrheinischen Ufer am dortigen Steiger anlegen zu wollen, dann ist der Bergfahrer gehalten, nicht zwischen ständig gemachtem Aufdreher und geographisch linke Ufer, sondern auf der dem geographisch rechten Ufer zugewandten Seite des Aufdrehers zu passieren. Der Bergfahrer hat gegenüber dem aufdrehenden Schiff kein Weisungsrecht, sondern die Pflichten eines Überholers.

Eine Widerklage ist auch gegen einen bislang nicht prozessbeteiligten Dritten zulässig, wenn die Gegenstände der Klage und der Drittwiderklage tatsächlich und rechtlich eng miteinander verknüpft sind; dies ist in der Regel bei einer Schiffskollision unter den Besatzungen der beteiligten Schiffe der Fall.

In Rheinschifffahrtssachen ist es üblich zur Aufklärung des Unfallherganges nicht nur Zeugen zu vernehmen, sondern auch die am Prozess beteiligten Besatzungsmitglieder anzuhören (Parteivernehmung) und deren Angaben in die Überzeugungsbildung einfließen zu lassen.

Urteil der Berufungskammer der ZKR vom 5. Dezember 2017, Az.: 512 Z-4/17 (RhSchG St. Goar, Az.: 4 C 1/16 BSchRh)

Aus dem Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Verantwortlichkeit für eine Schiffskollision, die sich am 17. Oktober 2014 gegen 18.45 Uhr auf dem Rhein in der Ortslage Koblenz etwa bei Rheinkilometer 591,5 im linksrheinischen Teil der Fahrrinne zwischen dem Tankmotorschiff (TMS) »Eiltank 10« und dem Fahrgastkabinenschiff (FGKS) »Scenic Sapphire« ereignet hat.

Die Klägerinnen sind die Schiffsversicherer des TMS »Eiltank 10«, die dessen Eigner und Ausrüster Deckung gewährt und den durch die Kollision entstandenen Schaden im Umfang ihrer jeweiligen Deckungspflicht reguliert haben.

Der Widerbeklagte zu 1 war zum Unfallzeitpunkt verantwortlicher Schiffsführer des TMS »Eiltank 10«. Gesteuert wurde das Schiff von dem Widerbeklagten zu 2 als Steuermann mit dem erforderlichen Patent. Die Widerbeklagte zu 3 ist Ausrüsterin des TMS »Eiltank 10«.

Die Beklagte zu 1 und Widerklägerin ist Eignerin des FGKS »Scenic Sapphire«, das zum Unfallzeitpunkt von dem Beklagten zu 2 verantwortlich geführt wurde …

Gegen 18.30 Uhr des Unfalltages fuhr TMS »Eiltank 10« bei Rheinkilometer 594 (Ortslage Wallersheim) linksrheinisch mit einer Geschwindigkeit von etwa 11,5 km/h über Grund zu Berg. Zur gleichen Zeit befand sich FGKS »Scenic Sapphire« in der Talfahrt kurz oberhalb der Pfaffendorfer Brücke (Rheinkilometer 509,9). Der Beklagte zu 2 beabsichtigte, über Backbord aufzudrehen und am linksrheinischen Ufer oberhalb der Moselmündung am Steiger der Köln-Düsseldorfer Schifffahrt anzulegen. Wie oft und mit welchem Wortlaut der Beklagte zu 2 dieses Manöver über UKW-Kanal 10 ankündigte, ist streitig. Jedenfalls drehte FGKS »Scenic Sapphire« über Backbord auf, während TMS »Eiltank 10« sich mit gleichbleibender Geschwindigkeit von etwa 11 km/h über Grund linksrheinisch in der Bergfahrt näherte. In der Folge kollidierten die Fahrzeuge im linksrheinischen Teil der Fahrrinne dergestalt, dass TMS »Eiltank 10« mit dem Backbordbug gegen das Steuerbordheck des FGKS »Scenic Sapphire« stieß. An beiden Fahrzeugen entstand erheblicher Sachschaden …

Die Widerbeklagten … haben geltend gemacht, die Widerklage sei als isolierte Drittwiderklage unzulässig und nur zu dem Zweck erhoben worden, die Besatzungsmitglieder des TMS »Eiltank 10« als Zeugen auszuschalten und die Klägerinnen dadurch in Beweisnot zu bringen.

Das Rheinschifffahrtsgericht hat zur Klärung des Unfallhergangs die Schiffsführer der unfallbeteiligten Fahrzeuge angehört und Beweis erhoben durch die Vernehmung von Zeugen sowie durch die Auswertung der Tresco-Aufzeichnungen des FGKS »Scenic Sapphire« und der beigezogenen Ermittlungsakten 2040 Js 76143/14 der Staatsanwaltschaft Koblenz.

Mit Urteil vom 2. März 2017 hat das Rheinschifffahrtsgericht die Klage und die Widerklage gegen den Widerbeklagten zu 1 abgewiesen und der Widerklage im Übrigen stattgegeben …

Aus den Entscheidungsgründen:

Die zulässige Berufung hat keinen Erfolg. Das Rheinschifffahrtsgericht hat zu Recht die Klage abgewiesen und der Widerklage gegen die Widerbeklagten zu 2 und 3 stattgegeben.

I. Eine Ersatzpflicht der Beklagten für den an TMS »Eiltank 10« entstandenen Schaden setzt gemäß § 823 Abs. 1, 2 BGB, §§ 3, 92 ff. BinSchG ein rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten des Beklagten zu 2 als Schiffsführer des FGKS »Scenic Sapphire« voraus, das für die Kollision der beiden Schiffe ursächlich war. Daran fehlt es. Das Rheinschifffahrtsgericht ist mit überzeugenden Erwägungen zu dem Ergebnis gelangt, dass die Kollision zwischen FGKS »Scenic Sapphire« und TMS »Eiltank 10« auf das alleinige Verschulden des Widerbeklagten zu 2 als Schiffsführer des TMS »Eiltank 10« zurückzuführen ist. Ein Mitverschulden ist dem Beklagten zu 2 als Schiffsführer des FGKS »Scenic Sapphire« unter Zugrundelegung der tatsächlichen Angaben der Parteien und des Ergebnisses der Beweisaufnahme des Rheinschifffahrtsgerichts nicht anzulasten.

Das Rheinschifffahrtsgericht hat den Aussagen der zum Hergang der Kollision vernommenen Zeugen M, K, L und B, den Angaben des Zeugen vL gegenüber den Beamten der Wasserschutzpolizei St. Goar und der Auswertung der Tresco-Aufzeichnungen des FGKS »Scenic Sapphire« entnommen, dass der Abstand zwischen den unfallbeteiligten Fahrzeugen bei Einleitung des Wendemanövers des FGKS »Scenic Sapphire« noch so groß war, dass das Wendemanöver ohne Gefährdung des übrigen Schiffsverkehrs eingeleitet werden konnte. Diese Einschätzung teilt die Berufungskammer …

Bei Einleitung des Wendemanövers der »Scenic Sapphire« auf der Höhe von Rheinkilometer 591,3 befand sich TMS »Eiltank 10« im Bereich der Moselmündung bei Rheinkilometer 592,3, somit in einer Entfernung von rund einem Kilometer …

Bei einem Abstand von rund einem Kilometer zur Bergfahrt bei Einleitung des Wendemanövers der »Scenic Sapphire« war dieses Manöver nach § 6.13 Nr. 1 RheinSchPV zulässig …

Angesichts des großen Abstands von rund einem Kilometer war eine Gefährdung der Bergfahrt ebenso ausgeschlossen wie die Notwendigkeit, Kurs oder Geschwindigkeit des TMS »Eiltank 10« unvermittelt zu ändern.

Die Klägerinnen und die Widerbeklagten wollen einen Verstoß gegen § 6.13 Nr. 1 RheinSchPV damit begründen, dass der Beklagte zu 2 es versäumt habe, sich durch Anforderung einer Bestätigung über Sprechfunk zu vergewissern, ob die Bergfahrt die Ankündigung des Wendemanövers über Sprechfunk zur Kenntnis genommen habe und bereit sei, das Manöver zu unterstützen. Dem ist nicht zu folgen. Das »sich vergewissern« im Sinne von § 6.13 Nr. 1 RheinSchPV erfordert nicht generell eine Absprache des Wendemanövers oder das Abwarten einer akustischen Bestätigung der Ankündigung eines solchen, wie aus § 6.13 Nr. 2 RheinSchPV hervorgeht. Nach dieser Bestimmung ist lediglich die rechtzeitige Ankündigung des beabsichtigten Manövers durch Schallzeichen des Schiffs, das zu wenden beabsichtigt, erforderlich, und auch dies nur, sofern das beabsichtigte Manöver andere Fahrzeuge dazu zwingt oder zwingen kann, von ihrem Kurs abzuweichen oder ihre Geschwindigkeit zu ändern. Bei einem – wie hier – großen Abstand zu einem in der Bergfahrt entgegenkommenden Fahrzeug genügt es für das »sich vergewissern«, dass der Schiffsführer sich vor der Einleitung des Wendemanövers durch Beobachtung des Reviers Klarheit darüber verschafft, dass andere Fahrzeuge nicht gefährdet und nicht zur unvermittelten Änderung von Kurs oder Geschwindigkeit gezwungen werden.

Der Beklagte zu 2 hat das beabsichtigte Wendemanöver allerdings nicht durch Abgabe des Schallzeichens nach § 6.13 Nr. 2 Buchstabe b RheinSchPV angekündigt. Dieses Unterlassen war indessen für die spätere Kollision mit TMS »Eiltank 10« nicht ursächlich, weil der Beklagte zu 2 seine Absicht, unterhalb der Pfaffendorfer Brücke über Backbord zu wenden, in Höhe der Brücke über Sprechfunk angekündigt und der Widerbeklagte zu 2, der TMS »Eiltank 10« zu Berg führte, diese Funkdurchsage nach eigenen Angaben zur Kenntnis genommen hat. Ein zusätzliches Schallsignal hätte unter diesen Umständen keinen darüber hinausgehenden Informationswert gehabt. Das Rheinschifffahrtsgericht hat daher im Ergebnis mit Recht aus dem Unterbleiben des Schallsignals kein für die Kollision kausales Mitverschulden des Beklagten zu 2 hergeleitet.

Ein Mitverschulden ist dem Beklagten zu 2 auch nicht deswegen anzulasten, weil er unmittelbar vor dem Zusammenstoß zum Anlegen an einem der linksrheinischen Steiger ansetzte und dadurch TMS »Eiltank 10« für eine Vorbeifahrt an der Steuerbordseite des ständig gemachten Fahrgastschiffs keinen Raum ließ. Denn der Beklagte zu 2 konnte nicht damit rechnen, dass der Widerbeklagte zu 2 beabsichtigte, die »Scenic Sapphire« an deren Steuerbordseite zu passieren. Der Widerbeklagte zu 2 wusste, dass FGKS »Scenic Sapphire« nicht nur wenden, sondern auch linksrheinisch anlegen wollte. Denn dies hatte der Beklagte zu 2 über Sprechfunk angekündigt …

II. Die Widerklage ist zulässig. Zwar ist nach dem deutschen Zivilprozessrecht eine Drittwiderklage, die sich ausschließlich gegen einen am Prozess bislang nicht beteiligten Dritten richtet (isolierte Drittwiderklage), grundsätzlich unzulässig (st. Rspr., z. B. BGH NJW 2014, 1670 Rn. 14 mit weiteren Nachweisen) …

Nach diesen Grundsätzen ist die Widerklage im vorliegenden Fall zulässig. Die Gegenstände der Klage und der Drittwiderklage sind tatsächlich und rechtlich eng miteinander verknüpft, denn sie beruhen beide auf der Schiffskollision vom 17. Oktober 2014. Schutzwürdige Belange der Klägerinnen oder der Widerbeklagten werden durch die Eibeziehung der Drittwiderbeklagten in den Rechtsstreit zwischen den Klägerinnen und den Beklagten nicht verletzt. Der Umstand, dass der Widerbeklagte zu 2, der das TMS »Eiltank 10« zum Zeitpunkt der Kollision eigenverantwortlich führte, wegen seiner Parteistellung nicht als Zeuge vernommen werden konnte, berührt schutzwürdige Belange der Klägerinnen und/oder der Widerbeklagten nicht. Das Rheinschifffahrtsgericht hat – wie es in Rheinschifffahrtssachen übliche Praxis ist – zur Aufklärung des Unfallhergangs nicht nur Zeugen vernommen, sondern auch die als Prozesspartei am Rechtsstreit beteiligten Besatzungsmitglieder angehört und deren Angaben in seine Überzeugungsbildung einfließen lassen …

III. Die Widerklage ist auch begründet. Die Kollision zwischen FGKS »Scenic Sapphire« und TMS »Eiltank 10« ist, wie vorstehend bereits im Einzelnen dargelegt wurde, von dem Widerbeklagten zu 2 als verantwortlichem Schiffsführer des TMS »Eiltank 10« allein schuldhaft verursacht worden. Die Fahrweise des Widerbeklagten zu 2 stellt einen groben Verstoß gegen die in § 6.13 Nr. 3 RheinSchPV normierte Unterstützungspflicht und zugleich einen schwerwiegenden Verstoß gegen die allgemeine Sorgfaltspflicht nach § 1.04 RheinSchPV dar.

Nach § 6.13 Nr. 3 RheinSchPV müssen andere Fahrzeuge nach rechtzeitiger Ankündigung und zulässiger Einleitung eines Wendemanövers, sofern dies nötig und möglich ist, ihre Geschwindigkeit und ihren Kurs ändern, damit das Wenden ohne Gefahr geschehen kann. Dieser Verpflichtung ist der Widerbeklagte zu 2 nicht nachgekommen, sondern hat stattdessen in Kenntnis der Absicht der Schiffsführung des FGKS »Scenic Sapphire«, über Backbord aufzudrehen und linksrheinisch anzulegen, TMS »Eiltank 10« mit unverminderter Geschwindigkeit linksrheinisch weiter zu Berg geführt. Nautisch völlig unverständlich und unverantwortlich war sein Versuch, das Fahrgastschiff, das linksrheinisch Kopf zu Berg ständig gemacht hatte und zum Anlegen an den linksrheinischen Steigern ansetzte, noch in dem relativ schmalen Zwischenraum an der Steuerbordseite zu passieren, anstatt durch eine mögliche und gebotene rechtzeitige Kursänderung nach Backbord das rund 100 m breite Fahrwasser an der Backbordseite des Fahrgastschiffs für die Vorbeifahrt zu nutzen.

Zu Unrecht wollen die Klägerinnen und die Widerbeklagten die Zulässigkeit der beabsichtigten Passage des TMS »Eiltank 10« an der Steuerbordseite der »Scenic Sapphire« aus dem Kursweisungsrecht des Bergfahrers herleiten. Das Kursweisungsrecht der Bergfahrt ist hier schon deswegen irrelevant, weil es nur für die Begegnung mit der Talfahrt, nicht jedoch für das Überholen in der Bergfahrt oder das Vorbeifahren an einem Kopf zu Berg ständig gemachten Fahrzeug gilt. Ohnedies hat der Bergfahrer gegenüber einem aufdrehenden Talfahrer kein Kursweisungsrecht (BGH VersR 1967, 154); dieser ist während des Wendemanövers kein Talfahrer (BGH, ZfB, 1975, Sammlung Seite 635 f). Die von dem Widerbeklagten zu 2 beabsichtigte Durchfahrt zwischen der Steuerbordseite des FGKS »Scenic Sapphire« und den linksrheinischen Steigern war auch nicht als Überholmanöver zulässig. Gemäß § 6.03 Nr. 1 RheinSchPV ist das Überholen nur gestattet, wenn das Fahrwasser unter Berücksichtigung aller örtlichen Umstände und des übrigen Verkehrs hinreichenden Raum für die Vorbeifahrt gewährt. Das war nicht der Fall, weil der Abstand des FGKS »Scenic Sapphire« zu den linksrheinischen Steigern nach den Feststellungen des Rheinschifffahrtsgerichts, die von der Berufung nicht angegriffen worden sind, nur rund 20 m betrug.

Nach § 6.09 Nr. 1 RheinSchPV ist zudem das Überholen nur gestattet, nachdem sich der Überholende vergewissert hat, dass dieses Manöver ohne Gefahr ausgeführt werden kann. Hiernach wäre ein Vorbeifahren an der Steuerbordseite der »Scenic Sapphire« allenfalls dann als zulässig anzusehen, wenn der Widerbeklagte zu 2 dies mit der Schiffsführung des Fahrgastschiffs abgesprochen oder seine Absicht wenigstens über Sprechfunk angekündigt hätte. Dass dies geschehen wäre, haben die Klägerinnen und die Widerbeklagten nicht vorgetragen …