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In Hannover ist Deutschlands modernste Leitzentrale ans Netz gegangen. Von hier werden künftig Schleusenanlagen entlang des Mittellandkanals (MLK) und des Elbe-Seitenkanals (ESK), einschließlich der Stichkanäle, zentral gesteuert. Deutschlandweit folgen neun ähnliche Projekte

Künftig werden von der neuen Leitzentrale aus diverse Schleusenanlagen in den Räumen Hannover, Braunschweig, Wolfsburg, Uelzen und Lüneburg gesteuert. Die Idee sei es, mehrere Schleusen zentral zu bedienen. Auch Wehre und Brücken könnten darin integriert und entsprechend gesteuert werden. Man muss also nicht mehr direkt vor Ort sein, sondern verfolgt und koordiniert den Betrieb über Kameras. Die Software, die das ermöglicht, stammt von der Firma Actemium Cegelec. Das Unternehmen ist auch für die Kameras und Lautsprecher verantwortlich.

Die neue Leitzentrale in Hannover-Anderten ist »in Bezug auf Technik und Ergonomie bisher einmalig in Deutschland«, betonte Hans-Heinrich Witte, Präsident der Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt (GDWS), bei der offiziellen Inbetriebnahme. Für Enak Ferlemann, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesverkehrsministerium (BMVI), ist sie »ein Meilenstein für die deutsche Binnenschifffahrt.« Martin Staats, Präsident des Bundesverbands der Deutschen Binnenschifffahrt (BDB), erkennt hierin ein Beispiel für eine »gelungene Digitalisierung für die Schifffahrt und die Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung (WSV), während Boris Kluge, Geschäftsführer des Bundesverbands der Öffentlichen Binnenhäfen (BÖB), die Chance sieht, die Wasserstraße stärker in die Logistikketten einzubinden.

Durch die digitale Bedienung werde sich die Sicherheit für die Schifffahrt sowie für die Arbeitskräfte erhöhen, ferner ließen sich durch bessere Planung die Wartezeiten reduzieren, nennt Witte weitere Argumente für den digitalen Betrieb. Die Anlage sei praktisch immun gegen Ausfälle, stellte Hannovers Oberbürgermeister Stefan Schostok heraus. Dadurch werde eine moderne und leistungsfähige Wasserstraße ermöglicht, ergänzte Martin Köther, Amtsleiter WSA Uelzen und Braunschweig.

Leitstelle rund um die Uhr besetzt

Die ausgeweiteten Betriebszeiten würden mehr Transporte über die Wasserstraße ermöglichen. Dadurch werde dieser Verkehrsträger neben seinen ökologischen Vorteilen noch wirtschaftlicher. »Die neue Leitzentrale ist ein Gewinn für die Schifffahrt und für die Mitarbeiter der WSV«, brachte es Ferlemann auf den Punkt.

Die nahegelegene Schleuse Anderten ist die erste, die bereits in den Leitstand integriert wurde. Noch in diesem Jahr sollen die Schleusen Linden am Stichkanal Hannover–Linden und Bolzum am Stichkanal–Hildesheim folgen, so Witte. Sukzessive sollen ab 2019 dann die Schleusen Üffingen und Wedtlenstedt am Stichkanal Salzgitter, Südfeld am MLK und zuletzt auch das Schiffshebewerk Scharnebeck am ESK hinzukommen, sodass der komplette Schleusenbetrieb in der Region künftig digital erfolgt. Gleiches gilt für die in Planung befindliche neue Schleuse Lüneburg. Nach Fertigstellung sei sie die weltweit größte Binnenschleuse mit einer Trog-länge von 225 m, heißt es.

»Der Mittellandkanal ist seit rund 100 Jahren ein sehr bedeutender Verkehrsweg«, sagte Schostok. Für Ferlemann ist die künstliche Wasserstraße, die von West nach Ost quer durch das Land führt, eine »Lebensader für Deutschland.« Die neue Leitzentrale leiste somit einen wichtigen Beitrag für den Traum der Binnenschifffahrt, einmal vom Rhein bis zur Oder mit Großmotorgüterschiffen (GMS) zu fahren. Bis es soweit ist, dauere es aber noch mindestens bis zum Ende des kommenden Jahrzehnts, schränkt Ferlemann ein.

Der Kanal sei auch für die Hannoveraner ein wichtiger Verkehrsweg. An den Häfen und in Kanalnähe hätten tausende Menschen ihren Arbeitsplatz, machte Oberbürgermeister Schostok deutlich, der zudem verriet, das Hannover einen Antrag gestellt habe, wieder Hansestadt zu werden. Auch dies verdeutliche die Affinität zur Schifffahrt.

Die Bedeutung des MLK wurde auch wenige Tage vor der Einweihung der neuen Leitzentrale deutlich, als die Schleuse Sülfeld kurzfristig ausfiel. Mehr als 70 Schiffe waren davon betroffen und mussten warten, sagte Witte. Glücklicherweise sei das Problem schnell behoben worden, sodass die Schifffahrt zügig wieder aufgenommen werden konnte.

Angenehme Arbeitsbedingungen

Insgesamt verfolgen aus dem rund 320m2 großen Bedienraum (Leitwarte) in Hannover-Anderten künftig 40 Mitarbeiter der Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung (WSV) an zehn Bedienplätzen den Betrieb auf der Oststrecke des MLK, des ESK und der Stichkanäle. Man habe bei der Konzeption und dem Bau des Gebäudes Wert auf angenehme Arbeitsbedingungen für die Mitarbeiter gelegt, so Ferlemann. »Sie sollen sich bei ihrer Tätigkeit wohlfühlen.«

Zwei Jahre dauerte der Bau der rund 10Mio. € teuren Anlage, der erste Spatenstich erfolgte Ende 2016. Für das Tragwerk zeigt das Unternehmen Assmann verantwortlich, während das Architekturbüro Trapez aus Hamburg um Geschäftsführer Dirk Landwehr, besonderen Wert auf ein angepasstes Lichtkonzept gelegt hat.

Das Licht sei an den 24-Stunden-Betrieb angepasst, heißt es. Das Oberlicht sei zudem blendfrei. Tagsüber strahlt es in kaltweiß mit 4.000 K, nachts in warmweiß mit 3.000 K. Durch die großen Fensterfronten fällt darüber hinaus ausreichend Tageslicht in das Gebäude.

Auch bei der Akustik werden neue Maßstäbe gesetzt. Alle Oberflächen seien akustisch wirksam, sagt das Architekturbüro. Der Schall werde also abgefangen und könne somit nicht reflektiert werden. Für ein angenehmes Klima sollen auch die Heizungs-, Lüftungs- und Sanitäranlagen von Kofler Energies aus Braunschweig sorgen. Darüber hinaus ist auf dem Dach eine Photovoltaikanlage installiert, wodurch eine umweltfreundliche Energiegewinnung sichergestellt wird.

Auch für Kluge ist die Schaffung angenehmer Arbeitsbedingungen ein immer wichtigerer Faktor, denn der BÖB-Geschäftsführer hat Sorge, dass die Binnenschifffahrt als Berufsfeld nicht mehr attraktiv genug sein könnte. »Wir befinden uns im Wettbewerb mit anderen Branchen«, machte er klar und betonte gleichzeitig, dass auch ein Arbeitsplatz in der WSV für junge Menschen attraktiv sei, wenn er an heutige Techniken anknüpfe.

An der Bedeutung der Binnenschifffahrt für den Gütertransport ließ Kluge unterdessen keinen Zweifel. Gegenüber den anderen Verkehrsträgern wie Lkw und Bahn habe die Branche den Vorteil, dass die Transporte verhältnismäßig gut planbar seien. Ferner habe die Wasserstraße, anders als Lkw- und Schienenverkehre, noch ausreichende Kapazitäten. Deshalb sei er überzeugt, dass irgendwann »die Transporte auf das Wasser schwappen.«

Erste von zehn Leitzentralen

Die Leitzentrale Hannover ist die erste von insgesamt zehn in Deutschland. Die übrigen sind an der Saar (Mettlach), am Neckar (Untertürkheim und Neckarsteinach), am Wesel-Datteln-Kanal (Dorsten), am Rhein-Herne-Kanal (Herne), an der Weser (Minden), am Dortmund-Ems-Kanal (Bergeshövede), an der Mosel (Trier) und in Berlin geplant. Ziel sei es, rund 90% der Schleusen, Wehre und Pumpwerke daran anzuschließen, so Witte. Sportboote könnten indes künftig die für sie wichtigen kleineren Schleusen selbst bedienen. Helmut Rüffer vom Bundesverband der Selbstständigen Abteilung Binnenschifffahrt sieht in der digitalen Schleusensteuerung nicht nur Positives: Mit der Automatisierung gehe der Kontakt zu Binnenschiffern verloren, ferner würden durch den Wegfall der Schleusenwärter Probleme an Bauwerken vermutlich erst bemerkt, wenn sie größer würden.


Thomas Wägener