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Mögliche Perspektiven im System Wasserstraße bestimmten das diesjährige Forum Binnenschifffahrt in Kalkar. Der thematische Bogen reichte von nötigen Investitionen über den Wegfall von Abgaben und einer besseren Förderung bis hin zur Digitalisierung

Gemäß einer Erhebung der Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung (WSV) müssten 6,6 Mrd. € in den kommenden zehn Jahren in die Infrastruktur investiert werden, um den Investitionsstau an den deutschen Wasserstraßen und ihren zahllosen veralteten Anlagen aufzulösen. Aus Sicht von Thomas Groß, Geschäftsführer von Hülskens Wasserbau, ist das Bruttoanlagevermögen noch deutlich zu niedrig angesetzt, denn darin sei kein weiterer Ausbau des Netzes erfasst, der jedoch für einen zukunftsträchtigen Verkehrsträger wie die Binnenschifffahrt notwendig sei. Aktuell sei es kaum realisierbar, neue Dinge auf den Weg zu bringen. Das Ziel einer Kapazitätserweiterung müsse daher künftig zum Thema werden, so Groß, denn laut der Verkehrsprognose des Bundesverkehrsministeriums steigt der Güterverkehr, der per Schiff befördert werden soll, bis zum Jahr 2030 um 23%.

Eine klare Priorisierung unter Berücksichtigung des Kosten-Nutzen-Faktors (KNF) und sicherheitstechnischer Belange sei bei der Ausweisung von Projekten aus Sicht des Wasserbauexperten unabdingbar. Dies sollte das einzige Kriterium für die Rangfolge sein, meinte Groß.

Ein klares Plädoyer gab auch Stefan Franke, Mitglied der Geschäftsleitung bei der Allianz Esa EuroShip, für den Verkehrsträger Binnenschiff ab. Er sei preisgünstig und umweltfreundlich, ein Binnenschiff könne schließlich bis zu 150 Lkw ersetzen. Ferner sei dieser Verkehrsträger zuveårlässig und habe im Gegensatz zu Eisenbahn und Straßentransporten noch genügend freie Kapazitäten. Die Allianåz Esa ist seit langen Jahren Hauptsponsor des von den führenden Fachzeitschriften »Binnenschifffahrt« und »Schiffahrt und Technik« (SuT) bereits zum sechsten Mal gemeinsam ausgerichteten Forums Binnenschifffahrt sowie Stifter des »Innovationspreises Binnenschifffahrt«.

Rund 100 Teilnehmer diskutierten mit den hochrangigen Experten aus allen Bereichen des Systems Wasserstraße die aktuellen Themen und Herausforderungen. So müssten unter anderem die Verwaltungsstrukturen aufgelöst sowie Genehmigungswege deutlich verkürzt werden. Zu viele Tätigkeiten müssten aktuell mit der Generaldirektion Wasserstraßen und Schiffahrt (GDWS) abgestimmt werden, dies führe zu Verzögerungen. Auch Martin Staats, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Binnenschifffahrt (BDB), kritisierte die Länge und Komplexität der Verfahren. »Das Planungsrecht muss einfacher und schneller werden.«

Groß forderte zudem die Bündelung von Projekten: »Eine Ausschreibung in größeren Losen (z.B. drei Brücken, statt einer) reduziert den Aufwand auf Seiten der WSV und ermöglicht ein schnelleres Bauen auf der Seite der Bauindustrie.«

Reinhard Klingen bewertete die vielen Projekte, die im Bundesverkehrswegeplan (BVWP 2030) als »vordringlicher Bedarf« festgelegt sind, per se als positives Zeichen für die Branche. »Wir haben es gemeinsam geschafft, dass für das Infrastrukturthema auch in der Politik ein Bewusstsein geschaffen wurde.« Negative Ereignisse wie die Sperrungen des Nord-Ostsee-Kanals oder die Probleme bei der Rheinbrücke bei Leverkusen hätten sicherlich dazu beigetragen.

Ein gewisses Problem sieht Klingen jedoch in der Planung und Umsetzung der vielen Projekte, denn es fehle an Personal. »Jetzt ist das Geld verfügbar, für das wir jahrelang gekämpft haben, aber wir können es nicht ausgeben«, brachte es Joachim Schürings, Leiter Transportlogistik bei ThyssenKrupp Steel, auf den Punkt. Dennoch habe sich die Situation 2018 deutlich verbessert, da die Minderausgaben hätten halbiert werden können, betonte Klingen. Das heißt aber auch: Es bleibt immer noch Geld ungenutzt liegen.

Klingen sieht auch bei der Personalaufstockung die richtigen Weichen gestellt: In der vergangenen Legislaturperiode seien 240 neue Stellen geschaffen worden, dieses Jahr kämen noch einmal zusätzliche 70 Stellen hinzu. Er sei zuversichtlich, dass auch 2019 weitere Ingenieure eingestellt werden könnten.

Groß fordert hingegen zusätzliche finanzielle Mittel für die Wasserstraßen und begründet dies mit großem Bedarf. Die Haushaltplanung spiegele dies jedoch nicht wieder. Zwar sind in diesem Jahr nach Erhebungen des Hauptverbands der Deutschen Bauindustrie 944Mio. € an Investitionen für die Bundeswasserstraßen ausgewiesen, eine deutliche Steigerung gegenüber den 730Mio. € im Jahr zuvor. Im kommenden Jahr seien es 982Mio. €. Doch schon in den Jahren 2020 (861Mio. €), 2021 (861Mio. €) und 2022 (862Mio. €) seien die Summen wieder rückläufig. »Dabei brauchen wir mehr statt weniger Geld«, so Groß.

Die betroffenen Industriezweige wie Schifffahrt, Chemie, Stahl, Logistik, Bau und alle anderen Beteiligten sollten deshalb ihre Kräfte und Stimmen bündeln, um eine starke Position für das System Wasserstraße einzunehmen, um dessen unterbewertete Bedeutung gegenüber der Politik stärker zu betonen, schlug der Wasserbauer vor.

Dass in der Politik inzwischen ein gewisses Umdenken stattgefunden hat, verdeutlicht auch der von der Regierung mitgetragene »Masterplan Binnenschifffahrt«. Er soll die Leitlinie für die künftige Ausrichtung und Förderung der Binnenschifffahrt sein. Interdisziplinäre Arbeitsgruppen beschäftigen sich derzeit mit fünf Handlungsfeldern: Infrastruktur, Schiffe und Umwelt, Digitalisierung, Nachwuchssicherung sowie Logistikkonzepte für die Binnenschifffahrt. Positiv sei vor allem, dass die Branche aktiv an der Gestaltung dieses Masterplans mitwirken könne, merkte Staats an.

Am Ende dieses Jahres will Klingen die Öffentlichkeit über konkrete Ziele, Maßnahmen und Eckpunkte informieren. Auch die von Thomas Groß vorgeschlagene Lösung, Projekte in größeren Losen zu vergeben, gelte es zu überlegen. Dies könne er sich auch bei Wehren und Schleusen vorstellen, so Klingen, der zudem anregte, bei künftigen Bauvorhaben von vornherein »richtige, wahrheitsgemäße Preise und Zeiträume zu nennen«, dies sei hilfreicher als Zahlen mehrfach korrigieren zu müssen.

Es fehlt an kleinen Schiffen

Laut Staats sollte auch ein größerer Förderrahmen diskutiert werden. Man müsse offen für Neues sein, z.B. für flachgängigere Schiffe. Darüber hinaus sprach Klingen das Defizit an kleinerem Schiffsraum an. Die Nachfrage sei unabweisbar, denn schließlich könnten in vielen Regionen aufgrund zu kleiner Schleusen nur kleinere Einheiten verkehren. Man müsse über Anreize nachdenken, damit auch kleinerer Schiffsraum wieder wirtschaftlich betrieben werden könne.

Die langanhaltende Niedrigwasserperiode auf vielen Flüssen zeigte zuletzt die Dringlichkeit von Investitionen. Kleinwasserzuschläge würden auf Dauer nicht helfen, sagte Staats, wohl aber die versprochene Rheinanpassung. »Es gibt für uns keine Alternative zum Niederrhein«, sagte auch Schürings von ThyssenKrupp, denn die zwischen Rotterdam und Duisburg zu transportierenden Gütermengen seien schlicht zu groß, um sie per Lkw oder Schiene zu befördern.

Aktuell stünden auch an Teilen des Rheins wegen der geringen Wassertiefen nur noch 40 bis 50% der Kapazität zur Verfügung. Durch eine Vertiefung um nur 10cm könnte ein Schiff 150t mehr Güter transportieren. Probleme bereitete zuletzt insbesondere eine Untiefe in der Nähe der niederländischen Stadt Nijmegen. »Das nimmt uns 20cm Tiefgang und damit 10% der Kapazität«, so Schürings.

Fallen Kanalabgaben zeitnah weg?

Eine Wende könnte es indes beim Thema Kanalangaben geben. Klingen äußerte seine Zuversicht, dass die Erhebung von Befahrensabgaben für die Nutzung von Wasserstraßen, besser bekannt als Schifffahrtsabgabe, doch noch kurzfristig fallen könnten.

Nach langen Diskussionen über die Abgabe, die bislang jährlich rund 45Mio. € in den Bundeshaushalt spült, soll sie im nächsten Bundeshaushalt gestrichen werden. »Ich werde der Entscheidung nicht vorgreifen, aber ich bin zuversichtlich, dass es so kommt«, sagte Klingen.

Das Bundesverkehrsministerium hatte den Wegfall der Schifffahrtsabgaben in die Beratungen zum Haushalt eingebracht, das Finanzministerium hatte dies jedoch zunächst abgelehnt, mit der Begründung, dass dies ohne Kompensation an anderer Stelle im Verkehrsetat nicht akzeptabel sei. Eine Entscheidung soll nun bei einer sogenannten Bereinigungssitzung zum Haushalt am 8. November fallen, informierte Klingen. Dabei sollen strittige Punkte noch einmal verhandelt werden.

Die Bahn sei schließlich vom Bund ohne Kompensation in weit stärkerem Maße entlastet worden. Für die Senkung der Trassenpreise gibt es 175Mio. € im ersten Jahr und sogar jeweils 350Mio. € alle weitere Jahre bis 2021. Das wird vom Gewerbe als zusätzliche Benachteiligung des Verkehrsträgers Binnenschifffahrt gesehen. Und auch Klingen versprach: »Eine Kompensation ist nicht angebracht. Wir werden eine andere Lösung finden.«

Digitalisierung in vollem Gange

Ein weiterer Trend, mit dem sich die Binnenschifffahrt beschäftigen muss, ist die Digitalisierung. Laut Heinz-Josef Joeris, Leiter der Abteilung Wasserstraßen bei der GDWS, sind von den 550 zu automatisierenden Anlagen (Schleusenkammern, Wehre, bewegliche Brücken und sonstige Anlagen) an den Wasserstraßen etwa 250 auf die digitale Automatisierungstechnik umgerüstet worden. Dies entspreche einem Umsetzungsstand von rund 45%. Ziel des Bundes sei es, künftig mehr als 90% der Anlagen an sogenannte Leitzentralen anzubinden, von denen die erste in Hannover-Anderten kürzlich in Betrieb gegangen ist.

Aktuell bietet die WSV bereits verschiedene digitale Angebote für die Schifffahrt und Logistik – national wie international. Joeris verwies auf den bundesweiten Elektronischen Wasserstraßen-Informationsservice (ELWIS) mit jährlich über 40Mio. Zugriffen sowie auf internationale harmonisierte digitale RIS-Dienste wie RISCOMEX, die Fortführung des EU-Projekts CoRISMa, einem RIS unterstützen Management der europäischen Binnenschifffahrtskorridore. Für Deutschland sollten in COMEX harmonisierte Binnenschifffahrtsinformationsdienste Korridor-bezogen (Mosel, Rhein, Donau, Elbe) eingeführt und dauerhaft betrieben werden. Insgesamt beteiligen sich 13 Länder und 15 Partner an dem noch bis 2020 laufenden 26,5Mio. € teuren Projekt, das mit 15,6Mio. € aus dem CEF-Fonds gefördert wird.

Ferner informierte Joeris über geplante Maßnahmen, wie die Bundeswasserstraßen vor allem an Schleusen und Liegestellen mit W-LAN zu versehen sowie über das Building Information Modeling (BIM), das bis 2020 stufenweise eingeführt werden soll. Ziel sei es, digitale Methoden beim Planen, Bauen und Betreiben von Bauwerken stärker zu nutzen und damit die Prozesse deutlich zu beschleunigen. Ab Ende 2020 sollte bei neu zu planenden Projekten in der Regel das BIM angewendet werden.

Digitale Angebote kommen auch aus der Wirtschaft oder aus Forschungsprojekten. So soll der Digitale Schifffahrtsassistent, präsentiert von Alexander Schmid von Bearing Point, bessere Daten für die Binnenschifffahrt liefern, was die Attraktivität dieses Verkehrsträgers seiner Meinung nach steigern würde. Nötig sei noch eine Standardisierung der Daten. Aktuell läuft ein Feldtest. Ab Ende September soll eine Routenplanung deutschlandweit möglich sein, sagte Schmid. Das Produkt sei bereits marktreif, wie bei heutigen Apps seien aber regelmäßige Updates erforderlich, um das Angebot zu verbessern. Beispielsweise sollen Infrastrukturdaten der Schleusen sowie längere Prognosen über Pegelstände einfließen.

Martin Sandler, Geschäftsführer von in-innovative navigation, ging noch einen Schritt weiter, denn er informierte über Entwicklungen für die autonome Navigation von Binnenschiffen. Das Nutzen vorhandener Daten, wie beispielsweise die Tiefen von Wasserstraßen, sei auch bei solchen Projekten von zentraler Bedeutung. Derzeit gebe es bereits die Möglichkeit, Schiffe auf einer vorgegebenen Bahn fahren zu lassen. In der Entwicklung sei es, eine zweite Bahn zu definieren, auf der das Schiff im Notfall ausweichen könne, so Sandler, der in der Kommunikation der Schiffe untereinander das zentrale Element für diese Entwicklung sieht.

Technik kann unterstützen

Da laut Stefan Franke der Faktor Mensch nicht hundertprozentig zuverlässig ist und Bedienfehler nie ganz ausgeschlossen werden können, wünscht er sich mehr technische Systeme, die den Schiffsführer unterstützen. Diese sollten schnell und in der Breite verfügbar sein.

Dirk Gemmer, Geschäftsführer von Rhenus PartnerShip, sieht etwa in dem teilautonomen Fahren eine willkommene Hilfe für das fahrende Personal. Ferner könnte das sogenannte Platooning, also das Fahren in Kolonnen, auch eine Lösung für das Nachwuchsproblem sein. »Wenn es gelingt, die Besatzung eines Schubverbandes von fünf auf drei zu reduzieren, wären wir einen großen Schritt weiter«, sagte Gemmer.

Tobias Zöller, Partikulier (MSG), warnte unterdessen davor, sich zu sehr von Technik abhängig zu machen. Auch er wünsche sich zwar, schon bei der Abfahrt aus Rotterdam über die Situation an den Schleusen des Main-Donau-Kanals informiert zu sein, aber er wolle selbst die Kontrolle auf seinem Schiff behalten. Beispielsweise sollte ein Brückenanfahrassistent zwar warnen, wann es an der Zeit sei, das Steuerhaus herunterzufahren, aber die Aktion eben nicht automatisch ausführen. »Denn was passiert, wenn die Technik ausfällt?« Durch mehr Technik an Bord lasse sich die Sicherheit erhöhen, durch Bedienfehler oder einen Ausfall könne aber auch das Gegenteil eintreten, waren sich die Experten einig.

Franke verwies aber darauf, dass zusätzliche Technik an Bord eine bessere Ausbildung notwendig mache. »Je besser die Ausbildung ist, desto höher ist die Verlässlichkeit, dass die Dinge auch so angewendet werden, wie es sein soll«, bekräftigte der Versicherungsexperte. Unterstützende Techniken seien notwendig, in einem weiteren Schritt werde man sich dann Stück für Stück hin zur teilautonomen Schifffahrt entwickeln, so Franke. Gemmer sieht dagegen noch einen weiten Weg bis zur autonomen Schifffahrt. »Frühestens in zehn Jahren werden wir soweit sein«.


Thomas Wägener