Schifffahrt auf der Oder von morgen

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Gedanken zur Zukunft der Wasserstraße folgen dem Bedarf, Güter aufs Binnenschiff zu verlegen – was ist angesichts sich ändernder und gekrümmter Fahrrinnen und geringer Wassertiefen mittelfristig sinnvoll, individueller Ausbau oder nach starrem Klassensystem?

Die Notwendigkeit der Entlastung der Fernstraßen, d.h. der Verlagerung des Güterfernverkehrs auf das Wasser und die Schiene zeigt sich sehr deutlich auch in Polen. Die historische Verkehrsbedeutung der Oder für traditionelle Güter wurde jüngst auf dem 22. Oder/Havel-Colloquium des Vereins zur Förderung des Stromgebietes Havel/Oder in Potsdam angesprochen. Wenn ein leistungsfähiges Transportsystem bereitgestellt wird, könnten Container Kohletransporte in der Bedeutung ablösen.

Im Vortrag von Przemyslaw Zukowski vom Ministerium für Maritime Wirtschaft und Binnenschifffahrt wurde deutlich, dass die polnische Regierung ein erheb­liches Interesse an einer Reaktivierung der Schifffahrt auf der Oder hat. Keine Frage, dass eine durchgehende Stau­regulierung die wirksamste, verkehrstechnisch leistungsfähigste Lösung wäre. Dem steht das derzeit auf deutscher Seite sehr geringe wirtschaftliche Interesse Deutschlands an diesem Fluss entgegen – obwohl es immerhin wichtige Wirtschaftsstandorte in der Oder-Region wie Eisenhüttenstadt, Schwedt und Frankfurt (Oder) gibt. Zudem wäre es ein nur sehr langfristig realisierbares Projekt, mit dem schon jetzt erkennbare Engpässe und Verlagerungsbedürfnisse nicht abzudecken wären. Aus der Sicht von Umwelt- und Naturschutz würden sich vermutlich heftige gesamteuropäische Widerstände ergeben.

Wenn man davon ausgeht, dass Container – zwei Lagen bei Anhebung einer Anzahl von Brücken – ein Schwerpunkt künftiger Transportaufgaben wären, würden Fahrwassertiefen benötigt, die mit konventionellen wasserbaulichen Maßnahmen erreichbar wären. Auch hier wäre die Grenz-Oder einzuschließen, und es müsste die Mitwirkung der deutschen Seite gewonnen werden.

Wenn, wie bisher, die künftigen Schiffbarkeitsbedingungen auf der Oder am europäischen Wasserstraßen-Klassifizierungssystem festgemacht werden sollen, so wäre Klasse IV, die verschiedentlich als Ausbauziel genannt wurde, eine Größenordnung, die derzeit in Europa eine nicht unerhebliche Bedeutung hat. Das »Traumziel« von vier Containern nebeneinander wird aber nicht bei Klasse IV und erst recht nicht bei Klasse III erreicht, die auf polnischer Seite wohl noch in der Diskussion ist, als Basis für eine nachhaltige Zukunftsentwicklung aber keinesfalls geeignet erscheint.

Generell lässt sich die These vertreten, dass die Vorgaben bestimmter Klassen nicht pauschal und unreflektiert übernommen werden müssen, sondern dass man von der Freiheit Gebrauch machen sollte, einzelne Schiffsabmessungen nach jeweiligen Gegebenheiten individuell zu wählen und, wo immer es technisch-wirtschaftlich sinnvoll ist, über klassenbedingte Grenzen hinaus zu steigern.

Auf der Oder wäre Klasse III allenfalls noch mit Überlegungen zu möglichen Abladungen von Fahrzeugen in Zusammenhang zu bringen:

• +2,00 m vor Ertüchtigung der Wasserstraße eher selten, danach häufiger verfügbar;

• +1,00 m vor Ertüchtigung nicht selten, danach fast immer gegeben;

• +1,50 – +1,60 m für 2 Lagen Container bei typischen Containergewichten hinreichend;

• mit +1,00 m insbesondere bei Schubleichtern noch 1 Lage Container transportierbar;

• +1,00 – 2,00 m als realistischer Abladungsbereich in Betracht zu ziehen.

Eine zentrale Frage wäre, ob derartige Breiten und Längen auf der mittleren Oder, angesichts enger, zeitlich veränderlichen Fahrrinnen und örtlich stark gekrümmter Fahrwasserverläufe, auch unter Status-quo-Bedingungen praktikabel sind oder eher Wunschdenken.

Wenn auf kritischen Abschnitten von Einrichtungsverkehr ausgegangen werden kann, wäre zu prüfen, ob und in welchem Ausmaß örtliche Fahrrinnenerweiterungen erforderlich werden würden – nach schon vorliegenden Kenntnissen besteht die Erwartung, dass dies nur in begrenztem Ausmaß der Fall sein wird.

Durch neue, innovative Konzepte im Bereich der Manövrier- und Steuertechnik könnte die Befahrbarkeit enger Fahrwässer mit großen Verbänden erheblich erleichtert werden. Hier wäre an eine automatisierte Lenkbarkeit von Verbänden in Verbindung mit einer automatisierten Kopplungstechnik der Leichter zu denken.

Darüber hinaus wäre das integrierte Zusammenwirken von Hauptantrieb, Bugstrahlruder und lenkbaren Kopplungen mit Hilfe eines landseitigen Assistenzsystems zur Erhöhung der Sicherheit und Leichtigkeit des Manövrierens in schwierigen Fahrwässern – eine interessante betriebstechnische Innovation. Sie würde den Einsatz großer, flachgehender Schubverbände entscheidend unterstützen.

In Bezug auf Fahrzeugabmessungen und Abladungsbereiche würde es sich um eine weitgehend auf die Oder zugeschnittene Lösung handeln, bei der auf universellere Einsetzbarkeit bewusst verzichtet wird.

Das Konzept wäre auch für eine staugeregelte Oder geeignet, ist aber im Zusammenhang mit einem »kleineren«, schnelleren Ausbaukonzept und mit begrenzteren wasserbaulichen Regulierungsmaßnahmen zu sehen und wäre auch schon unter Status-quo–Bedingungen von erheblichem Nutzen.


Horst Linde