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»Mit Sonnenenergie durch Berlin« – die Kiebitzberg Schiffswerft Havelberg hat einen Auftrag zum Bau von Solarschiffen von der Stern und Kreisschiffahrt und der SolarCircleLine erhalten

Der Bau von emissionsfreien Schiffen mag heute nicht mehr ganz so außergewöhnlich erscheinen wie noch vor Jahren. Eher wird so etwas zur Normalität, ohne deshalb weniger anspruchsvoll zu werden.

Die Kiebitzberg Schiffswerft hatte bereits vor fünf Jahren mit dem Bau von Solarschiffen begonnen. Die Werft startete mit einem kleinen solarbetriebenen Forschungsschiff für Reinhaltungsmaßnahmen auf dem Scharmützelsee bei Bad Saarow. Zwei Jahre zuvor hatte Werft-Geschäftsführer Andreas Lewerken (56) bei einer Schiffstaufe für ein Fahrgastschiff für die kasachische Hauptstadt Astana bereits angekündigt, künftig den Bau von luxuriösen Yachten sowie den reinen Aluminiumschiffs- und -bootsbau forcieren zu wollen. So ist es dann auch gekommen.

Geschichte reicht bis 1687 zurück

Die Kurfürstliche Werft Havelberg war eine Schiffswerft, die vom niederländischen Kaufmann und Reeder Benjamin Raule vorgeschlagen und 1687 auf Geheiß von Friedrich Wilhelm von Brandenburg, dem Großen Kurfürsten, vor der Stadt Havelberg am Südufer der Havel errichtet wurde. In Preußen hatte Friedrich Wilhelm zwar in Pillau und im pommerschen Kolberg je einen kleinen Seehafen mit Schiffbauplätzen, jedoch beherrschte Schweden noch weitgehend die Ostsee. Innerhalb von zwei Jahren wurden in Havelberg die Rümpfe für 15 Kriegsschiffe gebaut. »Auf dieser Werft wurden nur die Schiffsrümpfe errichtet, danach wurden sie auf Schwimmkörpern, sogenannten Kamelen, havel- und elbabwärts nach Hamburg gebracht, wo sie aufgetakelt und ausgerüstet wurden«, wie es bei Wikipedia im Bericht »Kurbrandenburgische Marine« heißt. Daneben ist ein zeitgenössischer Kupferstich vom Standpunkt der Schiffswerft mit Blick zum Dom zu sehen. Auch Russlands Zar Peter I., ebenfalls der Große genannt, besuchte 1713 diese Werft für einige Tage, um sich über den preußischen Schiffbau zu informieren, wie es auf der Internetseite der Kiebitzberg Schiffswerft heißt. Vermutlich ist sie sogar der älteste noch existierende Schiffbaustandort in Deutschland.

Nach dem Vollzug der Einheit Deutschlands wurden die 17 Schiffswerften des ehemaligen VEB Schiffsrepaturwerften Berlin privatisiert. Die daraus resultierende Deutsche Binnenwerften GmbH übernahm aber nur fünf der Schiffswerften. Den Rest versuchte die Treuhand zu verkaufen, wozu auch die Schiffswerft Havelberg gehörte. Die Hamburger Schiffsbauerfamilie Grube übernahm die Werft für ihren Sohn Jörg Grube, der Schiffsneubauten und -reparaturen anbot. Als jedoch kurze Zeit später die Untere Havelwasserstraße aus Umweltgründen für die Frachtschifffahrt gesperrt wurde, musste Grube 1997 Insolvenz anmelden.

Die Stadt jedoch wollte unbedingt die Werft erhalten. Ein junger Tischler aus Thüringen hatte sich 1985 in der DDR-Zeit in Havelberg selbstständig gemacht und erfolgreich eine Werkstatt für didaktisches und therapeutisches Holzspielzeug gegründet. Nach der Wende vergrößerte er das Unternehmen in die Kiebitzberg Möbelwerkstätten und fertigte sehr erfolgreich innovative Möbelstrecken für den gehobenen Markt. Heute gehört diese zu den führenden Möbelbauern. Den Firmenname Kiebitzberg wählte Lewerken nach dem Flurnamen seiner ersten Werkstatt in der Nähe von Havelberg.

Nun übernahm Lewerken gemeinsam mit seiner Frau das Gelände und dazu aus der früheren Belegschaft Schiffbaumeister Ulrich Ahrens sowie einen Schiffbauer, einen Schweißer und einen Tischler. Ein Schiffselektriker und eine Dreherin kamen dazu. Es waren die letzten von vormals 85 Arbeitern der Werft.

Dem traditionellen Schiffbau sagten sie, bis auf die Restaurierung einiger historische Schiffe, Lebewohl. Sie entschieden sich dafür, nur solchen Schiffbau zu betreiben, mit dem sie nicht unmittelbar zu anderen Werften in Konkurrenz treten würden. Sohn Florian, heute 36, kam nach dem Studium als Betriebswirt ins Unternehmen und ist heute Prokurist und Junior-Chef.

Innenausbau auf Kreuzfahrern

Die Möbelwerkstätten waren schon länger im Schiffsinnenausbau tätig, unter anderem bei der SET-Schiffswerft Tangermünde beim Ausbau der damaligen Kreuzfahrtschiffe, dann auf der Hitzler-Werft beim Innenausbau von sechs Tankern der Dettmer-Reederei und, weil Erfolg sich herumspricht, schließlich auch bei Neptun in Warnemünde und bei der Meyer-Werft in Papenburg beim Innenausbau von Flusskreuzfahrtschiffen (Neptun) und der größten Seekreuzfahrtschiffe, die in Papenburg gebaut werden. Auch auf der »Queen Mary 2« war Kiebitzberg dabei. Die Zahl der von Kiebitzberg mit ausgebauten Flusskreuzfahrtschiffe belaufe sich derzeit auf 70 Einheiten, so Lewerken. »Wobei«, schränkte Andreas Lewerken beim Gespräch auf der Werft ein, »betreiben wir keinen Kabinenbau wie am Fließband. Wir bieten bei den Kreuzfahrern ausschließlich für die öffentlichen Bereiche wie die Schiffseingänge, die Bars und Speisesäle, Treppenaufgänge und die Crewbereiche an.« Alle Möbel, Tresen, Wandverkleidungen bestehen oft aus edelsten Materialien und Hölzern, die so verarbeitet werden, dass keine Stöße mit Leisten verkleidet sind und alles spiegelglatt poliert ist.

Modernisierung der Werft

Man ließ sich nicht lange Zeit, die Schiffswerft zu modernisieren. Das alte Bürogebäude mit angeschlossener Werkstatt von Anfang des 19. Jahrhunderts wurde in seiner historischen Fachwerksubstanz erhalten und aufgefrischt. Im Inneren finden sich modern ausgestattete Büros genauso wie CNC-gesteuerte Bearbeitungsmaschinen.

Die noch von Grube gebaute Schiffbauhalle wurde erweitert und mit einer ebenfalls CNC-gesteuerten Fließstrecke für automatisches Schneiden und Formen von Schiffbauteilen eingerichtet, neben der dann gleich die Schiffe gebaut werden können. Somit kann ein vollständig witterungsfreier Schiffbau in einer beheizbaren Halle erfolgen.

Kurze Zeit später wurde neben den alten Werftgebäuden eine weitere Schiffbauhalle für den Bau kleinerer Schiffe bis 20 m Länge gebaut und ebenfalls mit modernsten CNC-gesteuerten Bearbeitungsmaschinen ausgestattet. Der gesamte Betrieb wird umweltfreundlich mit Holzresten beheizt, die bei der Möbelfertigung anfallen.

Wandel im Schiffbau

Nach den beiden Fahrgastschiffen für Kasachstan ging die Werft neue Wege. Sie stieg vom reinen Stahlschiffbau nach und nach auf den Aluminiumschiffbau um. Auch von der Bewerbung um öffentliche Schiffbauaufträge nahm die Werft nach und nach Abstand.

»Uns ist der bürokratische Aufwand zu zeitaufwändig. Wir bauen mehr für private Auftraggeber, bieten selbst an, was wir können. Nach einem ersten seegängigen Trawler in Luxusausführung haben wir zwei Nachfolgeaufträge bekommen«, sagte Lewerken. »Bei den von uns entwickelten fahrbaren Solarwohnschiffen und –yachten geht es uns nicht anders. Wenn ein stimmiges Paket aus Design, Qualität, Energieeffizienz und Nachhaltigkeit gesucht wird, kann beim besten Willen nicht der billigste Anbieter gewinnen. Öffentlichen Auftraggebern sind da oft die Hände gebunden.«

Gegenwärtig werde an drei Solarfahrgastschiffen gebaut. »Es sind die Bau­nummern 281, 283 und 284. Das erste ist ein kleines Solarfahrgastschiff für Island für 40 Personen, dazu kommen die beiden künftigen Solarschiffe für je 180 Personen, die wir im Oktober als Projekt in Berlin vorgestellt haben«, fügt Junior-Chef Florian Lewerken hinzu.

Die Hallen der Werft seien bis Ende 2020 ausgelastet, und er konstruiere im Vorlauf bereits die Baunummer 360, verrate aber nicht, worum es sich handele.

Hauptsächlich biete die Kiebitzberg-Schiffswerft den Aluminiumschiffbau aus zwei Gründen an: »Aluminium ist leichter als Stahl, was die Tiefgänge der Schiffe minimiert, und besser formbar.« Außerdem biete er hauptsächlich die Schiffskörper als Katamarane an, was auch noch den Energieverbrauch minimiere.

Ein weiterer Grund für den Umstieg im Schiffbau der Kiebitzberg-Werft von Stahl auf Aluminium, so Andreas Lewerken, hänge auch damit zusammen, dass es auf dem Arbeitsmarkt keine Stahlschiffbauer gibt. Er würde sofort welche einstellen. Oder, wenn er wüsste, wer Stahlschiffbauer ausbilde, würde er sich gern erkundigen, zu welchen Konditionen er Lehrlinge dorthin schicken könnte.

Angefangen damit, Aluminium zu verarbeiten, hatte Lewerken bereits vor mehr als zehn Jahren mit Landstegen für Schiffe, dann kamen feste Steganlagen für Ufer und Anlegestege für Schiffe hinzu. Jetzt baut er auch schwimmende Steganlangen. Größter Auftrag auf diesem Gebiet ist eine schwimmende Steganlage von 195 m Länge für die Landesgartenschau von Baden-Württemberg in diesem Jahr. Dieser Auftrag wird gerade für die Auslieferung fertiggestellt. Die Anlage wird sicher eine besondere Attraktion auf dem Fluss Rems im Remstal werden.

Im vergangenen Jahr hat die Kiebitzberg eine elektrogetriebene Wohnbootgruppe für die Bleilochtalsperre in Thüringen gebaut, die den Namen »Treibhouse« trägt. Sie besteht aus zwei großen Wohnbooten, gekoppelt mit einem Zwischenponton, zwei Beibooten und einem Schubboot im Antrieb. Der Koppelverband, der auch als schwimmende Insel bezeichnet wird, besteht aus 24 m² Wohnfläche mit weiteren 24 m² Sonnendeck und einem Kaminofen im Innenraum. Diese Wohnboote gehören zu einer Gruppe von elektrisch betriebenen Booten ab 7,5 m Länge aufwärts unter dem eingetragenen Firmenzeichen PonTOM Adventure und sind in mehrfachen Variationen, Ausstattungen und Größen bis 12 m x 4,5 m verfügbar.

Weitere Entwicklungen

Die Unternehmerfamilie Lewerken entwickelt und prägt mehrere Firmen und Standorte, die den Kiebitz im Namen tragen: Das Einzelunternehmen Kiebitzberg Möbelwerkstätten, die Kiebitzberg GmbH & Co. KG mit der Schiffswerft sowie das ArtHotel Kiebitzberg und Niederlassungen in der Leipziger Baumwollspinnerei, dazu eine Kooperation in Hamburg. Insgesamt sind ca.110 Mitarbeiter tätig, wie Andreas Lewerken aufzählte.

Ja, Kiebitzberg steht auch für ein Hotel. Das ist eigentlich eine eigene Geschichte wert. Hier nur kurz: Ein Hotelstandort im Dornröschenschlaf, ein Möbelhersteller mit Weitsicht und eine Stadt mit viel Potenzial aus Geschichte und Landschaft (unter anderem größtes Renaturierungsprojekt Europas, Biosphärenreservat, Sternenpark usw.). Es entsteht ein Schauhaus für hochwertiges Handwerk, in dem Interessierte die Wertigkeit der Kiebitzberg-Produkte bei einem Aufenthalt direkt erleben können, Führungen durch Hotel und Produktionsstätten inklusive.

Letzte große Investition war der Bau einer weiteren Produktionshalle in den Möbelwerkstätten im Gewerbegebiet Nord mit 1.200 m² Produktionsfläche im Jahr 2013.

52.000 m2 Gesamtfläche

Die Kiebitzberg Schiffswerft besitzt acht verschiedene Zertifizierungen für alles, was im Schiffbau erforderlich ist. Etliche Auszeichnungen und Preise sind ihr bisher verliehen worden. Dazu gehört auch der Besuch des damaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder im Jahr 2005 und eine Auszeichnung des heutigen Ministerpräsidenten von Sachsen-Anhalt, damals noch Wirtschaftsminister, Reiner Haseloff. Er verlieh der Kiebitzberg-Gruppe 2011 die Auszeichnung »Unternehmen des Monats Februar 2011« und bedachte sie mit den Worten: »Engagement, Mut und Kreativität, welche die Geschäftsführer Renate und Andreas Lewerken zeigen, sind nur ein Grund für die Ehrung. Ein ganz besonderer ist die Rettung der Havelberger Werft durch die Übernahme des Areals im Jahr 1998. Damit fand die mehr als 300-jährige Werftgeschichte eine Fortsetzung in der Hansestadt Havelberg.«

Das Warenzeichen Kiebitzberg besteht nunmehr seit 34 Jahren. Im Durchschnitt werden jährlich drei Lehrlinge in den Berufen Schiffbauer, Tischler und Hotelfachfrau/-mann ausgebildet, womit auch für den eigenen Berufsnachwuchs gesorgt wird.


Christian Knoll