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Die Studie über Digitalisierung in der Binnenschifffahrt ist noch druckfrisch. Während darin neue Geschäftsmodelle ermittelt werden und der Bereich »Autonomes Fahren« nur gestreift wird, machen Belgier und Niederlander bereits Nägel mit Köpfen

Kaum ein Begriff wird derzeit so strapaziert wie »Digitalisierung«. Insbesondere im Transport- und Logistiksektor geht es um Möglichkeiten, mit Hilfe digitaler Daten oder Geschäftsmodellen mehr Effizienz und schnellere und verlässlichere Lieferketten aufzubauen. Begriffe wie Cloud, Schnittstellen, Transformation oder Tracking und Tracing machen die Runde. Die Binnenschifffahrt in Deutschland hat dabei und zusätzlich aber noch analoge Dinge zu regeln. Marode Infrastruktur, Schleusen in Dauerreparaturzustand, überbordende Bauzeiten von neuen Anlagen oder auch die prinzipielle Verlagerung der Verkehre sind offene Themen. Von Dieselproblemen und Abgasnormen ganz zu schweigen. Ein Masterplan für die Binnenschifffahrt soll für Vieles Abhilfe bieten.

Die Belgier zum Beispiel sind scheinbar auf der Überholspur. Mit riesigen Investitionsprogrammen ertüchtigen sie ihr Wasserstraßennetz. Zudem sind sie ganz nah am Thema »Autonomes Fahren«.

In der Region Westhoek zwischen Niewpoort und Diksmuide bereitet die Wasserstraßenbehörde De Vlaamse Waterweg einen Praxisversuch zum unbemannten selbstständigen Fahren vor. Das Projekt soll unter Praxisbedingungen testen, wie die Schubschifffahrt von der bemannten auf unbemannten Fahrt umgestellt werden kann. Aus den Ergebnissen wollen die Belgier ein Geschäftsmodell formen. »So soll das Projekt einen wichtige Schritt machen hin zu einem neuen und innovativen System, einem neuen Produkt, mit dem Flandern eine Vorläuferrolle übernehmen kann«, heißt es in einer Erklärung von De Vlaamse Waterweg.

Der zuständige Mobilitätsminister von Flandern, Ben Weyts, fördert und begleitet das Projekt. »Die unbemannte Schifffahrt macht die Binnenschifffahrt noch moderner und wettbewerbsfähiger«, wird Weyts zitiert. »Auf diese Weise möchte ich noch mehr Transporter dazu verführen, Staus gegen Wasserstraßen auszutauschen«, lautet sein Credo dazu.

Für die Belgier heißt das nicht nur, dass die fünf Projektpartner zunächst ein 4,60m langes Pilotprojekt-Schiff ins Wasser setzten. In der zweiten Jahreshälfte können auch »vollwertige Schiffe« unbemannt fahren. »Die meisten Pläne sind auf unbemanntes Fahren mit Fernbedienung ausgerichtet, es gibt aber auch Pläne für völlig autonomes Fahren«, berichtet eine belgische Zeitung.

Minister Weyts ist schon voller Vorfreude: »Flandern nimmt eine Vorreiterrolle ein. Das ist Spitzentechnologie, aber wir wollen hier wirklich Vorreiter sein. Jede Fracht, die auf dem Wasserweg transportiert werden kann, muss nicht mehr auf der Straße transportiert werden«, wird Weyts zitiert.

Damit das auch gelingt, hat der Minister zugleich die Schifffahrtsvorschriften geändert, um unbemannt fahren zu können. Innovative Projekte, so wird berichtet, hätten die Möglichkeit, von den aktuellen Vorschriften zu Besatzung und Technik abweichen zu können. Zugleich wird auch geklärt, wer für das Schiff in Abwesenheit eines Schiffsführers im Falle eines Vorfalls oder eines anderen Problems verantwortlich ist.

Im vergangenen Jahr transportierte die flämische Binnenschifffahrt mehr als 72Mio.t Güter und hielt mehr als 3Mio. große Lastwagen von der Straße fern. Flandern verfügt über mehr als 1.000km schiffbare Wasserstraßen. 80% aller flämischen Unternehmen befinden sich maximal 10km von einem solchen Wasserweg entfernt.

In den Niederlanden hat das Thema »Autonom Fahren« ebenfalls ein besonderes Augenmerk. Im Maritimen Innovationsvertrag zum »Topsector Wasser« ist das Thema als »Speerspitze« benannt. Einrichtungen wie TNO, Marin, die TU Delft, BLN, BTB sowie weitere elf Binnenschifffahrtsunternehmen bündeln ihre Kräfte, um in verschiedenen Marktsegmenten (Trockenladung, Bulk, Container oder Tankschifffahrt) Chancen und Risiken vom autonomen Fahren herauszuarbeiten. Auch dort soll unter »real-life«-Bedingungen gearbeitet werden. Alle Erkenntnisse sollen zunächst in einem Weißbuch (white paper) zusammengefasst und diskutiert werden.

Im Zusammenhang mit dem europäischen Projekt Safer Autonomous Systems (SAS) koordiniert die Königliche Universität in Leuven ein Projekt zur Erhöhung der Sicherheit bei autonomen Systemen. In Kooperation unter anderem mit Bosch, Airbus, Jaguar und Lloyd’s Register und unterstützt durch Mittel aus dem EU-Programm Horizon 2020 werden derzeit Algorithmen entwickelt, die vorausschauend gefährliche Situationen erkennen und systemkonform reagieren können.

Das Ministerium für Infrastruktur hat bereits die nötige gesetzliche Flankierung für Testprojekte gegeben. Mit Anpassungen des »Binnenvaartpolitiereglements« werden rechtliche Rahmenbedingungen für Testprojekte definiert.

Auch in der Seeschifffahrt stehen die Belgier vor einem interessanten Projekt. Im Mai soll eine autonom fahrende Schiffsdrohne von 4m Länge den Atlantik überqueren. Mit Sonnenenergie angetrieben soll nach zwei Monaten das Ziel in Guadeloupe erreicht werden. »Eine Weltpremiere« freuen sich die Flamen schon jetzt.

Autonomes Fahren auf Flüssen und Kanälen in Deutschland zeigt sich maximal als Zukunftsvision. Die IHK in Duisburg hat zu dem Thema eine Machbarkeitsstudie erstellen lassen, auch steht in NRW Geld zur Verfügung. Im Haushalt 2019 sind 1,5Mio.€ für die Einrichtung eines Testfelds für autonom fahrende Binnenschiffe im Rhein-Ruhr-Raum vorgesehen.

Auch im Koalitionsvertrag haben Union und SPD vereinbart, autonomes Fahren zu fördern: auf Straßen, Schienen und auf dem Wasser. Dazu sollten digitale Testfelder auf Wasserstraßen eingeführt werden, hieß es. Doch bislang ist wenig passiert. In einer kleinen Anfrage wollte noch vor wenigen Tagen die FDP wissen, wann die Testgebiete ausgewiesen würden. Doch ein Datum nannte die Bundesregierung nicht.
Hermann Garrelmann