125 Jahre Nord-Ostsee-Kanal – In Deutschland für die Welt

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Seit 125 Jahren dient der Nord-Ostsee-Kanal der internationalen Schifffahrt – und blickt auf eine Historie mit Kriegen und Krisen, Schaumwein und Steigerungen zurück. Pünktlich zum Jubiläum läuft die jüngste Modernisierung

Keine andere künstliche Wasserstraße – es ist immerhin die meistbefahrene ihrer Art weltweit – hat eine derart große Bedeutung für das deutsche Transportnetz. Je nachdem, von wo kommend ein Reeder wo hin will, spart er mit dem NOK im Durchschnitt 250sm im Vergleich zur Route um Skagen. Rund 30.000 der im Idealfall etwa acht Stunden dauernden Passagen zählen die Verantwortlichen der Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung (WSV) beziehungsweise die Wasserstraßen- und Schifffahrtsämter in Brunsbüttel und Kiel-Holtenau pro Jahr. Die Art der Schiffe wandelt sich dabei immer wieder den Entwicklungen der Handelsströme entsprechend.

Heute nutzen am häufigsten Bulk-und Stückgutschiffe den Kanal, gefolgt von Tank- und Containerschiffen. Am stärksten wachsen tatsächlich der Stückgut- und natürlich der Containertransport. Zusammen mit den Mineralölprodukten und chemischen Erzeugnissen macht er inzwischen fast 80% des Ladungsaufkommens aus.

Wie genau sich Kaiser Wilhelm I die Zukunft des Projekts vorgestellt hat, lässt sich nur erahnen. Ausgangspunkt des Kanalbaus war ein Vorgänger, der zwischen 1777 und 1784 auf Geheiß des dänischen Königs Christian VII. errichtete Eiderkanal – in Kiel beginnend und bei Rendsburg in die Eider mündend.

Bismarck und der Kaiser

Der deutschen Reichsregierung wurde dieser jedoch zu klein, vor allem aus militärischer Perspektive, denn die immer größeren Kriegsschiffe konnten ihn nicht befahren. Also nahm ein Mammut-Projekt seinen Lauf.

Der preußische Kanzler Otto von Bismarck ordnete 1864 den Bau eines neuen Kanals zwischen Nord- und Ostsee an. Ein fertiges Konzept ließ jedoch auf sich warten. Jahre vergingen, insgesamt acht Jahre lang wurde schließlich für 165Mio. Reichsmark mit 8.900 Arbeitern gebaut, Uferböschungen befestigt, große Schleusenanlagen eingesetzt.

Am 3. Juni 1887 hatte Wilhelm I. den Grundstein gelegt, am 21. Juni 1895 war das Bauwerk, das zunächst »Kaiser-Wilhelm-Kanal« hieß, eingeweiht. Allerdings nicht durch den verstorbenen Wilhelm I., sondern Kaiser Wilhelm II. Drei Tage lang soll gefeiert worden sein. Angesichts der immensen Kosten sah sich der neue Kaiser zur politischen Improvisation gezwungen: Zur Finanzierung setzte er 1902 kurzerhand und rückwirkend die berüchtigte Schaumweinsteuer ein.

Es könnte auch eine Nachricht aus der heutigen Zeit sein: Der Kanal wurde angesichts der Schiffsgrößenentwicklung relativ schnell zu klein und musste ein erstes Mal erweitert werden, so kamen zwischen 1907 und 1914 unter anderem auch neue Brücken hinzu.

Alliierte erzwingen neuen Namen

Die zweite Erweiterung zog sich von 1965 bis 2002 hin. Unter anderem wurde der Abschnitt zwischen Brunsbüttel und Königsförder Weiche auf 162m verbreitert.

Dazwischen lagen zwei Weltkriege und eine Weltwirtschaftskrise, die wenig überraschend auch am NOK für einige Verwerfungen sorgten. 1948 wurde die Wasserstraße nach Aufforderung der alliierten Siegermächte umbenannt: seither trägt sie ihren heutigen Namen.

Es folgte eine verhältnismäßig ruhige Zeit. Die Öffnung des Eisernen Vorhangs Anfang der 1990er-Jahre und der Zusammenbruch der osteuropäischen Volkswirtschaften führten schließlich zunächst zu einem starken Rückgang des Schiffsverkehrs, wissen die Behörden zu berichten. Ende der 1990er-Jahre bis zur Wirtschaftskrise 2009 gab es dann aber stetes Wachstum im Schiffsverkehr. 2008 war ein Rekordjahr mit 105,9Mio.t transportierter Ladung, 42.811 Schiffe befuhren seinerzeit diekünstliche Wasserstraße innerhalb von zwölf Monaten.

Zur Wahrheit gehört jedoch: Auch wenn vor allem hierzulande Reeder, Makler, Häfen und Schiffbauer die immense Bedeutung des NOK hervorheben, ist besagte meistbefahrene künstliche Schifffahrtsstraße der Welt nicht vor strukturellen »Herausforderungen« gefeit. Veraltete Schleusenanlagen sind nur ein Teil davon.

Die Corona-Pandemie und die damit verbundenen Rückgänge im Welthandel sind hoffentlich nur vorübergehender Natur. Die Schiffsgrößenentwicklung und der Ölpreis sorgen schon eher für grundlegende Sorgenfalten. Immer mehr Reeder planen für ihre stetig wachsenden Frachter die nördliche Skagenroute als Alternative zum NOK ein. Weil der verhältnismäßig niedrige Ölpreis zu einer kleineren Bunker-Rechnung führt, wird die größere Distanz mit Blick auf die mitunter durch Schleusensperrungen anfallenden Wartezeiten sowie die Kanalgebühren hingenommen – nicht zuletzt weil die immer größeren Schiffe in der Ostsee an den ebenfalls wachsenden Häfen leichter abgefertigt werden können als früher und sich daher aufwendige Feeder-Netze weniger lohnen. Daher ist der eingeschlagene Weg der Kanal-Modernisierung alternativlos.

Neue Chance dank China?

Aufgrund der aktuellen Lage sind die offiziellen Jubiläumsfeierlichkeiten zwar um ein Jahr verschoben. Eines ist allerdings sicher, auch wenn vieles derzeit nicht absehbar und »Auf-Sicht-fahren« angesagt ist: Der Kanal wird auch 2021 noch da sein, und er wird auch dann noch eine herausragende Stellung in der Schifffahrt einnehmen, trotz aller – bisweilen überzogenen – Kritik. Der Shortsea-Markt ist relativ verlässlich. Und wer weiß, vielleicht sorgt eine Initiative im fernen Peking sogar für neue Chancen. Das milliardenschwere Infrastruktur-Projekt »One Belt One Road« und mit ihm die Maritime Seidenstraße bringen immer mehr Güter auf dem Landweg aus Asien nach Osteuropa. Es gibt Logistiker, die von dort per Schiff weiter nach Westeuropa transportieren lassen …

Die große Politik wird es sich nicht nehmen lassen, im kommenden Jahr den Geburtstag nachträglich mitzufeiern – wenn auch wohl nicht wieder drei Tage lang.