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Die Auftragsbücher auf dem niedrigsten Stand seit zehn Jahren, die Fahrgastschifffahrt in der schlimmsten Krise seit dem 2. Weltkrieg, dazu eine sinkende Transportleistung – die Binnenschifffahrt hatte im letzten Jahr mit vielen Herausforderungen zu kämpfen

In Deutschland sind etwa 50 Binnenschiffswerften mit rund 2.000 direkten Beschäftigten derzeit aktiv. Überwiegend handelt es sich dabei um familiengeführte Traditionsunternehmen. Wie viele andere Branchen litt auch der Binnenschiffbau im vergangenen Jahr stark unter der Corona-Pandemie und deren wirtschaftlichen Auswirkungen. Das geht aus dem Bericht des Verbands Schiffbau und Meerestechnik (VSM) hervor. Die jährlich veröffentlichte Bilanz vergleicht unter anderem die Ablieferungen, Auftragseingänge und Auftragsbestände der letzten Jahre miteinander.

Betrachtet man die Ablieferungen, so liegen die Jahre 2019 und 2020 gar nicht weit auseinander. Wurden in 2019 50 Binnenschiffe im Wert von rund 219 Mio € abgeliefert, waren es in 2020 45 Einheiten im Wert von rund 222 Mio. €.

Schaut man hingegen auf die Auftragseingänge, ergibt sich ein anderes Bild. In 2019 konnten die Binnenschiffswerften 45 Aufträge mit einem Volumen von 100 Mio. € einholen, in 2020 waren es insgesamt 46 Aufträge, das damit verbundene Auftragsvolumen lag jedoch bei lediglich 39 Mio. €.

Vergleicht man die Auftragsbestände am Jahresende miteinander, so wird auch hier deutlich, unter welchem wirtschaftlichen Druck die Werften sich derzeit befinden. Während sich der Gesamtauftragsbestand am Jahresende 2019 auf 61 Schiffe mit einem Wert von 322 Mio. € belief, waren es ein Jahr später zwar 63 Schiffe, aber im Wert von nur 145 Mio. €. Das entspricht einem Minus von -55 %. Damit liegt der Wert der Auftragsbücher laut VSM auf dem niedrigsten Stand seit mehr als zehn Jahren.

Tonnenkilometrische Leistung

Der VSM-Jahresbericht betrachtet auch die Leistung der deutschen Binnenschifffahrt in Tonnenkilometern. Trotz eines guten Anstiegs 2019 konnte die Branche die Niedrigwassereinbußen von 2018 laut der Bilanz nicht kompensieren. 2020 sei dann das Wachstum durch Corona ausgebremst worden und um -10 % gesunken. Damit sank auch der Anteil der Binnenschiffe am Modal Split. Und weitere massive Probleme würden sich am Horizont abzeichnen: Durch den Kohleausstieg werden große Teile der deutschen Binnenschifffahrt weitere erhebliche Ladungsverluste erleiden, prognostiziert der Jahresbericht.

Wegen der Pandemie habe sich außerdem der »bisherige Musterknabe der Binnenschifffahrt«, die Flusskreuzschifffahrt, zum Sorgenkind entwickelt. Die gesamte Fahrgastschifffahrt erlebe die größte Krise seit dem 2. Weltkrieg. Doch im Gegensatz zum vergleichbaren Bus-Gewerbe konnten sich Regierungskoalition und Verkehrsministerium nicht dazu durchringen, den Fahrgastschiffsbetreiben eine Ausgleichsforderung zu gewähren. Zahlreiche Betriebe stünden vor dem Aus und dies wiederum werde negative Auswirkungen auf die Binnenschiffswerften und ihre Zulieferer haben.

Seit Herbst laufen in Brüssel die Auseinandersetzungen der Verbände und der Bundesregierung mit der EU-Kommission um die Regelung zur Taxonomy. Eigentlich gehe es dabei nur darum, festzulegen, nach welchen Kriterien Finanzdienstleister ihre Produkte als besonders nachhaltig vermarkten dürfen, so der VSM. Doch inzwischen zeichne sich ab, dass die dort geplanten Definitionen massive Auswirkungen direkt auch auf die Binnenschifffahrt haben werden. So soll zum Beispiel festgelegt werden, dass zur Bemessung der Nachhaltigkeit nicht die gesamte Kette zur Herstellung der eFuels betrachtet werden soll, sondern das, was am Schornstein herauskommt – und da seien die eFuels »natürlich nicht emissionsfrei«.

Der VSM hat dem Bericht zufolge mit Unterstützung aller anderen betroffenen Verbände die Bundesregierung erfolgreich dazu gebracht, in Brüssel gegen diese Regelung Einspruch einzulegen, doch die Verhandlungen dauern noch an, und bislang scheint die Kommission nicht bereit zu sein, nachzugeben. Ihr Ansatz in diesem Bereich stehe auch im Gegensatz zu den Zielen für die europäische Binnenschifffahrt im Rahmen des »Green Deal« der Kommission.

Fahrgastschiffe ohne Förderung

2020 versuchte das Bundesverkehrsministerium, sein Versprechen aus dem Vorjahr umzusetzen, im Rahmen des Masterplans Binnenschifffahrt eine neue großzügige Förderung umzusetzen. Mit einer Ausnahme haben alle Verbände den Entwurf des neuen Förderprogramms begrüßt. Die Ausnahme betrifft den Umstand, dass bei geplanten Fördertatbestand Heckerneuerung, Fahrgastschiffe von der Förderung ausgeschlossen wurden. Doch die Hoffnungen, dass die EU-Kommission das Förderprogramm zeitnah genehmigen würde, haben sich laut VSM bislang nicht erfüllt. Die EU verlangte zahlreiche Änderungen, was eine erneute Ressortabstimmung der Bundesregierung erforderlich machte. Die neue Fassung des Förderprogramms wurde im März erneut zur Genehmigung in Brüssel vorgelegt. Die Hoffnung ist nun, dass das Programm bald starten kann. Die Fördersätze sollen erhöht werden auf 60–80 %.

Nachdem die Niederlande im Januar ein eigenes Motorenförderprogramm aufgelegt haben, das den freiwilligen Austausch eines alten Motors gegen einen NRMM-kompatiblen Motor mit rund 50 % fördert, hat das Verkehrsministerium auf Druck der Verbände versprochen, ein vergleichbares Programm aufzulegen. Dadurch, dass der VSM den Vertreter im europäischen Dachverband SEA Europe beim technischen Vorschriftenausschuss CESNI stelle, können die VSM-Mitglieder direkt Einfluss auf die Vorschriftenentwicklung für Binnenschiffe in Straßburg nehmen. Konkret werde an Vorschlägen für den Einbau von Brennstoffzellen gearbeitet. Ebenfalls auf der Agenda stehe eine Überarbeitung der Vorschriften für elektrische Antriebe und Systeme an Bord. aw