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Jahrelang hieß auch in der Binnenschifffahrt die Devise: größer, länger, breiter.

Die Tragfähigkeit war das Maß der Dinge. Seit einiger Zeit kommt vermehrt ein

anderer Trend in die Diskussion: das »kleine« Schiff

Wer an den Kanälen in Nordfrankreich oder Belgien die Schifffahrt beobachtet, fühlt sich oft in die Vergangenheit versetzt. Mehr als an anderen Orten sind hier »Spits« unterwegs. Mit ihren gerade mal 39m Länge sehen sie aus wie ein Stück Nostalgie. Tatsächlich aber sind sie unverzichtbar, denn 60% der französischen Wasserwege sind ausschließlich mit Schiffen dieser Größe befahrbar. Sie sind also logistisch notwendig.

Auf niederländischen, selten auch auf deutschen Kanälen kennt man weitere »kleine« Schiffe, die als Frachter oder Tanker unterwegs sind: der Kempenaar (50–55m), der Neo Kemp (63m, speziell für Container), der Dortmunder (67– 80m) und das Rhein-Herne-Kanalschiff (80–85m). Allgemein gelten Schiffe bis zu 86m Länge und einer Tragfähigkeit von bis zu 1.500t als kleine Schiffe.

Tatsache aber ist, dass Schiffe bis zu 86m, vor allem aber kleiner als 67m, in den letzten Jahren verstärkt vom Markt genommen wurden. Neubauten in diesen Größenordnungen haben Seltenheitswert. Reedereien, die auch die Kanalfahrt bedienen, sind zwingend auf kürzere Einheiten angewiesen.

Erst jüngst hat die Reederei Jaegers aus Duisburg ein »kleines« Schiff neu bauen lassen. Die »Rain Empress« ist speziell auf die Bedürfnisse eines Kunden zugeschnitten. Der 67m lange Tanker kann ohne Sonderzulassung durch Amsterdam fahren und über die Amstel reisen. An Bord sind die Rohstoffe für die Firma Rütgers, die in Uithoorn Harze auf Kohlenwasserstoffbasis herstellt. Mit den gegebenen Abmessungen ist eine weitere Alternativroute genehmigt.

Die »Rain Empress« mit acht Ladungstanks aus rostfreiem Stahl wird dieselelektrisch angetrieben. Die beiden 250 kW starken Pods werden je nach Bedarf von bis zu drei Generatoren mit Strom versorgt. Optional sind Vorbereitungen getroffen, um auf dem Achterschiff Akkus mit bis zu 300 kWh Kapazität zu platzieren. Damit kann der »kleine« Tanker dann zeitweise oder streckenbedingt völlig emissionslos fahren.

Damit ist ein Stichwort genannt, das beim Thema »kleines Schiff« oft zu hören ist. Nachhaltigkeit oder Umweltschutz sind Argumente für den Einsatz von modernen Schiffen in der Stadtlogistik. Erste Projekte gibt es in Paris. Das Unternehmen »Vert chez vous« versorgte seine Lastenfahrrad-Kuriere einige Jahre mit dem Schiff. Beladen im Seine-Hafen Tolbiac dienten die Schiffe zugleich auch als schwimmendes Auslieferungslager. Bis zu 3.000 Pakete waren pro Fahrt an Bord. Von diesem Angebot machten namhafte Unternehmen Gebrauch, bis es nach einer Firmenübernahme in 2014 eingestellt wurde.

In Hamburg möchte die städtische Initiative »Smart Last Mile Logistics« (Smile) die zahlreich vorhandenen Wasserwege der Hansestadt stärker für logistische Zwecke nutzen. Dabei soll Hamburg als Beispielregion für zukunftsträchtige innerstädtische Transportlösungen dienen. Mit emissionsarmen Antrieben und über die Stadt verteilten Mikro-Hubs sollen Schiffe die Fleete und Kanäle für eine bessere Stadtlogistik nutzen. Zudem werden bei innerstädtischen Baustellen gute An- und Abfahrtmöglichkeiten für Baustoffe gesehen.

Auch die IHK Niederrhein in Duisburg hat sich dieses Thema auf die Agenda gesetzt. In Verbindung mit der Einrichtung eines Testfeldes für Autonomes Fahren argumentiert die IHK, dass sich bei (nahezu) entfallenden Personalkosten auch wieder kleinere Schiffe lohnen könnten, die zudem bei Niedrigwasser einsetzbar seien. Auch für die Belieferung des Hinterlandes könnten sich neue Perspektiven ergeben, um dem Lkw stärker Paroli zu bieten. Joachim Zöllner von der DST in Duisburg weiß: »Im Ruhrgebiet gibt es rund 50 stillgelegte Häfen, die mit autonom fahrenden Schiffen wieder genutzt werden könnten. Das könnte die Region von Lkw-Verkehr entlasten.«

Zwischen Duisburg und Dortmund würden auf dieser kurzen Strecke jährlich rund 70.000 Container transportiert. Bislang sei dies per Schiff zu teuer. Wenn sich aber die Personalkosten durch autonom fahrende Schiffe verringerten, gebe es eine andere Rechnung, so Zöllner.

Auch in den Niederlanden und Belgien steht das Thema »kleines Schiff« auf der Tagesordnung. Teils als Chance für eine gezielte Verkehrsverlagerung, teils aber auch vor dem Hintergrund wirtschaftlicher Bedrohungen. Letzteres wird befürchtet, wenn bestimmte Anforderungen der Regelwerke der ZKR umgesetzt werden müssen.

Lärmschutzmaßnahmen sind auf kleinen Schiffen schwer zu installieren, die Anforderungen an die Höhe von Aufenthaltsräumen stoßen an physikalische Grenzen. »Wenn die Forderung nach 2m Höhe für Aufenthaltsräume umgesetzt werden muss, können die Spits nicht mehr die niedrigen Brücken in Nordfrankreich passieren«, weisen Schiffer auf Paradoxien hin.

Neben den technischen Vorgaben erschweren die finanziellen Aufwendungen die ohnehin knapp gestrickte Rentabilität beim Betrieb der kleinen Schiffe. Im Endeffekt trieben sie Transporte wieder auf die Straße, eine Erhöhung des CO2-Ausstoßes und viele Staus wären die Folge.

Das hat die Algemeen Schippersvereniging jüngst auf den Plan gerufen. Mit einem Brandbrief an die Verkehrsministerin, der gemeinsam mit der Verladerorganisation Evofenedex und dem Verband PTC verfasst wurde, fordern die Schiffer, die technischen Anforderungen der ZKR müssten für kleine Schiffe »vom Tisch«. Diese Anforderungen »jagen der kleinen Binnenschifffahrt gigantische Kosten zu«, mit der Folge, dass sie nicht mehr rentabel sei.

Projekte wegen Niedrigwassers

Unabhängig von Fragen um bestehende kleine Schiffe haben sich auch Projekte entwickelt, die vor dem Hintergrund von mangelndem Personal oder auch häufigeren Niedrigwasserständen ergeben. Insbesondere für die Containerlogistik sind Konzepte erarbeitet, die durch das geschickte Aneinanderfügen kleiner Einheiten zu Schubverbänden logistisch sinnvolle und unternehmerisch machbare Lösungen ergeben.

Dazu gehört neben dem System Watertruck auch das belgische System der Palett-Shuttle-Barge (PSB). Die PSBs sind alle 50m lang, 5,5m breit und haben 2,20m Tiefgang. Mit diesen Abmessungen passieren sie alle Schleusen und können auch die so genannten Kempischen Kanäle befahren. Mit einfacher Ausrüstung, einem hydraulischen Antrieb, der von einem 300 PS starken Diesel kommt, sowie zwei Bugstrahlern ist ein Standardschiff konzipiert, das sich wirtschaftlich einsetzen lässt. Da die Länge von 55m nicht überschritten wird, reicht ein Besatzungsmitglied.

Ein weiterer Ansatz ist die Trennung zwischen Antrieb und Laderaum. Bei der Bahn längst üblich, lässt diese Technik zu, Einheiten mit gemischter Beladung und für verschiedene Destinationen gezielt zusammen zu stellen. Nach diesem Konzept aufgebaut ist das Projekt »Watertruck«.

Watertruck soll durch Transporteinheiten (Lastkähne und Schubboote mit max. 50m Länge), die in Konvois navigieren und schnell und flexibel zusammen- und ausgekuppelt werden können, funktionieren. Beladen und Entladen sind von der Navigation selbst abgekoppelt, somit verbessert sich die Betriebsquote auf kleineren Wasserwegen. Die ersten vier Schiffseinheiten wurden im März 2019 ausgeliefert.

In dem Bestreben einer wirklich wirksamen Verlagerung von Transporten auf Wasserwege zeigen sich kleinere Schiffseinheiten auch in Zukunft als nicht entbehrlich. Darauf Rücksicht zu nehmen und entsprechende Geschäftsmodelle zu fördern, ist also nicht Nostalgie, sondern der Sieg der Vernunft.


Hermann Garrelmann