Wenn Binnenschiffe sich in Flussmündungsbereichen bewegen und dabei Seeschifffahrtsstraßen nutzen, spricht man von Ästuarschifffahrt. Für solche Bereiche, zu denen die Schelde in Belgien zählt, wurden nun bestehende Vorschriften gelockert
Der flämische Mobilitätsminister Ben Weyts, bekannt für oft pragmatische Lösungen, hat die geltenden Regeln für die Ästuarschifffahrt vor der belgischen Küste gelockert. Sein Ziel: Es sollen mehr Binnenschiffe zwischen Zeebrugge und Antwerpen, Brüssel und Genk fahren können.
Vor allem der Hafen von Zeebrugge hat ein Interesse an einer vereinfachten Mündungsschifffahrt, bei der Binnenschiffe in einem definierten Fahrrevier vor der belgischen Küste auch auf See fahren dürfen. Das betrifft zum Beispiel Einheiten, die von Zeebrugge über die Nordsee und die Westerschelde nach Antwerpen, Gent, Brüssel oder Genk fahren wollen. Bei der Nutzung von Binnenschiffen, die die Schleusen auf der Strecke passieren können, entfällt mehrfacher Umschlag.
Binnenschiffe, die diese Route nutzen wollen, müssen speziell für die Ästuarschifffahrt gebaut oder angepasst werden. Die Bedingungen dafür waren bislang so streng, dass lediglich zehn Schiffe die Genehmigung für den Mündungsverkehr bekommen haben.
Weyts lockerte nun einige der Bestimmungen für die Nutzung dieses Reviers. Nach umfangreichen Untersuchungen, in die die Universität Gent und die Klassifikationsgesellschaft Lloyd’s Register einbezogen wurden, konnten einige Bedingungen geändert werden. Auch mit den niederländischen Nachbarn gab es Abstimmungen, da ein Teil der Mündungsschifffahrt durch die Westerschelde und damit durch niederländisches Gebiet verläuft.
Nun gibt es zukünftig nicht mehr die Unterscheidung zwischen Tankern und Nicht-Tankern. Auch muss nicht jedes Schiff ein eigenes MOB-Rettungsboot installiert haben. Allerdings: Die wichtigsten Sicherheitsvorschriften wurden nicht berührt. So gilt im Bereich des Brandschutzes auch weiterhin die strenge Norm A-60, der die Seeschiffe unterliegen. Gelockert wurden hingegen die Inspektionsintervalle, die Anforderungen an Risikoanalysen sowie die Klassifizierungsvorschriften der eingesetzten Motoren. Anstatt bislang zwei ist zukünftig nur noch ein Anker erforderlich. Weitere Änderungen liegen in Details.
Weyts wäre gern noch weiter gegangen, nach französischem Vorbild. »Ich wollte noch weiter gehen, um die Bedingungen für die Ästuarschifffahrt zu entspannen, denn jedes weitere Binnenschiff auf See bringt die Lkw von der Straße«, begründet der Minister seinen Ansatz, ergänzt aber: »Die Sicherheit muss aber gewährleistet bleiben. Ich erwarte, dass die Bedingungen in Zukunft weiter gelockert werden können, denn auch die Sicherheitstechnik entwickelt sich weiter.«
Diese erste Entspannung der Vorschriftenlage sei aber ein guter Schritt, der auch die Investitionskosten für den Bau von Fluss-Seeschiffen senken werde. Denn dank diesem ersten Schritt könnten nun mehr Binnenschiffe vor der Küste fahren, so Weyts.
Einige Zeit lang befand sich das Dossier über die Ästuarschifffahrt aufgrund von Meinungsverschiedenheiten mit den Niederlanden in einer Sackgasse. Flandern ist es jedoch gelungen, die Niederlande mit einer umfangreichen Studienarbeit und den Garantien für die Sicherheit zu überzeugen. Die Niederländer stimmen mit den Änderungen überein, die jetzt umgesetzt werden und sie bleiben an der weiteren Suche nach Flexibilitäten beteiligt.
Auch mit einem weiteren Förderprogramm will die flämische Regierung den Transport per Wasserstraße stimulieren. Gemeinsam mit dem Hafen von Antwerpen wurde ein auf fünf Jahre angelegtes Unterstützungsprogramm ausgearbeitet. Die Beihilferegelung soll die Binnenschifffahrt im Vergleich zur Lkw-Beförderung zeiteffizienter, kostengünstiger und wettbewerbsfähiger machen. Unter dem Titel »Hinterlandconnectiviteit« stehen im Haushalt des Landes 4Mio. € zur Verfügung. Damit sollen folgende Ziele erreicht werden:
• Verbesserung der Kapazität und Qualität der Infrastruktur
• Beseitigung der Lücken in der Binnenschifffahrts- und Eisenbahninfrastruktur und verstärkte Investitionen in die Instandhaltung dieser Netze
• Beseitigung betrieblicher Engpässe im Schienenverkehr (unter anderem effizienteres, transparenteres, kundenorientierteres Eisenbahnmanagement, Anpassung der belgischen Eisenbahninfrastruktur an europäische Normen usw.
• Effizientere Bündelung der Güterströme
• Erweiterung der logistischen Datenplattformen in größerem Umfang
• Nachhaltiges Pendeln zwischen den Häfen
• Einsatz eines Preisinstruments für den Güter- und Personenverkehr
• Diversifizierung der Logistikaktivitäten im Zeitablauf
• Bündelung von Verwaltungs- und Unterstützungsleistungen
• Anpassung restriktiver Vorschriften und/oder Strukturen
Die Zustimmung der Europäischen Union für diese Fördermöglichkeiten liegt den Belgiern bereits vor.
Hermann Garrelmann