Digitalisierung ist nicht alles, aber ohne sie ist alles nichts? Dieses oft auf das Stichwort »Geld« gemünzte geflügelte Wort ließe sich ohne weiteres auf den Einzug neuester Technologien auf Binnenschiffen anwenden. Dabei sind viele Fragen noch unbeantwortet
Der Zeithorizont, der auf dem Forum Binnenschifffahrt in Kalkar angegeben wurde, reichte von »sofort« über »morgen« bis hin zu »20 Jahre sind ambitioniet. Die Digitalisierung ist in aller Munde, sie ist ein Zukunftsthema, doch die Ansätze und Konzepte sind zum Teil noch sehr unterschiedlich.
Gleich zwei Testfelder zum »Autonomen Fahren« wurden dieser Tage gestartet – Berlin hatte vorgelegt, Duisburg zog nach. Doch sind demnächst keineswegs massenhaft Schiffsdrohnen auf Kanälen oder gar Flüssen zu erwarten. Noch gibt es zu viele Herausforderungen und auch Risiken. »Autonom fahren heißt nicht unbemannt fahren«, dämpfte auch Rupert Henn vom Duisburger DST allzu große Erwartungen. Die Grundlagen für diese Technik seien zwar gelegt, doch auch künftig würden Menschen an Bord gebraucht. »Nur die Navigation übernimmt demnächst vielleicht eine Maschine«, so Henn.
Oberstes Ziel sei es zunächst, ein kollisionsfreies Fahren zu ermöglichen. Das aber könne der Automat derzeit noch nicht komplett sichern. Auch andere Probleme müssten noch gelöst werden. Schleusenmanöver seien schwierig, ebenso das Anlegen und Festmachen. Das gehe nicht ohne den Menschen an Bord. Doch mit der schrittweisen Einführung von Assistenzsystemen könne man sich auf den Weg machen.
Das Thema »Autonomes Fahren« war nur ein Aspekt des 7. Forums Binnenschifffahrt, das sich intensiv mit der Digitalisierung in der Binnenschifffahrt befasste. Wie weit dieser Begriff zu fassen ist, machte Jan Ninnemann von der Hanseatic Transport Consultancy (HTC) deutlich. Er hatte im Auftrag des Mariko und des Deutschen Zentrums für Innovationen in der Binnenschifffahrt in einer Studie untersucht, welcher »digitale Tsunami« auf die Branche zukommen könne. Ninnemann präsentierte seine Ergebnisse geordnet nach vier Blöcken.
In einer »Board-Cloud« könnten alle Daten zusammenfließen, die der Optimierung des Schiffsbetriebes dienen. In der »Office-Cloud« geht es um die Verbesserung der kaufmännischen und administrativen Abläufe. Alle Daten für eine optimale Verkehrsabwicklung finden sich in einer »Journey-Cloud« wieder. In der »Edu-Cloud« geht es um die Aus- und Weiterbildung. Letztlich stehe über allem das oberste Ziel, das Binnenschiff bestmöglich in die digitalen Liefer- und Logistikketten einzubinden.
Bei der Umsetzung dieser Szenarien, so Ninnemann, seien noch viele Hindernisse zu überwinden. Eine lückenlose digitale Infrastruktur mit dem 5G-Netz als Standard entlang der Wasserstraßen gehört ebenso dazu wie homogene und aufeinander abgestimmte technische Lösungen an Bord. Auch viele rechtliche Fragen seien noch zu klären.
Arndt Glowacki, Logistik-Fachmann bei der Evonik Technology & Infrastructure, verwies darauf, dass Digitalisierungsinitiative mit Wertschöpfung gleichgestellt werden müsse. Mit Blick auf die lang anhaltende Niedrigwasserphase im vergangenen Jahr sagte er: »Mehr denn je brauchen wir aktuelle und verlässliche Informationen.« Das bedeute, den Daten einen Wert zu geben, sie nicht einfach nur zu sammeln und zu horten. Bestenfalls würden die gewonnenen Informationen helfen, Produktion und Lieferketten zu verbessern.
Die Frage, wer denn die Federführung für eine branchenübergreifende »große Plattform« übernehmen müsse, die einen ungehinderten Austausch der Daten ermögliche, ließ Glowacki offen. Auch er sieht noch einiges im Argen. »Solange ich als Hafenmeister eine Reinigungsbescheinigung nach CDNI in Papierform an den Binnenschiffer übergeben muss, damit diese dann bei der nächsten Kontrolle vorgelegt werden kann, brauche ich mir über Digitalisierung keinen Kopf zu machen.«
Den macht man sich im Duisburger Hafen offenbar jeden Tag. Mit einem verbalen Parforceritt durch die Hafenbereiche stellt Thomas Schlipköther vom Vorstand des Duisburger Hafens die Bemühungen zur Digitalisierung vor. »Wir entwickeln unsere Lösungen fast alle selbst«, so Schlipköther, »weil es auch kein anderer tut.« So würden insgesamt 130 Krananlagen von einer Management-Software gesteuert. Von der Analyse der Standzeiten über den fristgerechten Service bis hin zur Energieoptimierung lasse das offene System vielfältigen Nutzen zu.
Manchmal ergäben sich überraschende Erkenntnisse: »Nachdem wir einen Windmesser auf den Kränen installiert haben, haben wir die Container mit der Schmalseite in den Wind gedreht und 5 % Energie eingespart«, so Schlipköther. Das elektronische Wiegen am Spreader habe ergeben, dass 30% aller Container überladen seien. Das habe natürlich sofortiges Handeln ausgelöst.
Inzwischen fliegen Inspektionsdrohnen fast täglich den Duisburger Hafen ab. Dank bildgestützter Zu- und Abfahrtkontrolle werde jeder Container digital kontrolliert. Für Schlipköther ist Digitalisierung aber kein Selbstzweck: Das Ziel laute immer: mehr Effektivität, mehr Service, mehr Leistung und weniger Energie. Er plädierte dafür, mehr Entwicklungen unter der Beteiligung möglichst Vieler als offene Systeme aufzusetzen, »dann profitieren auch viele davon.« Heinrich Kerstgens, Geschäftsführer bei Contargo, mahnte die Entwicklung einheitlicher Standards und passender Schnittstellen an.
Mehr Offenheit der Systeme mahnte auch Steffen Bauer von Imperial an. Das im Unternehmen entwickelte IFMS (Imperial Frachtmanagementsystem) habe die Erwartungen noch nicht erfüllt und soll jetzt mit neuer Ausrichtung überarbeitet werden. »Das wollen wir dann auch Anderen anbieten«, versprach der Senior Vice President Shipping.
»Wir müssen mit unseren Kunden daran arbeiten, eine gemeinsame Plattform zu schaffen, um uns als Verkehrsträger zu positionieren«, sagte der Imperial-Manager. In der Digitaliserung sieht Bauer zwar eine Menge Potenzial: »Aber erst dann, wenn wir transparenter mit Daten umgehen.« Wichtig sei auch, dass die Digitaliserung die geänderten Ladungsströme berücksichtige. »Der Wegfall der Kohletransporte und weiterer Massengüter ist Fakt. Auch daran müssen wir unsere Strategie ausrichten«, so Bauer. Zudem brauche es die passenden politischen Rahmenbedingungen. Insgesamt, schilderte Bauer seine Erfahrung, werde man mit den Verladern als Partner schlagkräftiger. »Sobald der Kunde, also der Verlader, im Spiel ist, wird die Politik hellhörig.«
Etliche Fragen sind noch zu kären, so wie das Verhältnis zwischen öffentlichen und privaten Daten, beispielsweise bei AIS und Daten zur Fahrrinnentiefe. Insbesondere aber sei es nötig, die Denkweise der Beteiligten, in der Diskussion als »Digital Mindset« beschrieben, zu ändern. »Das machen wir jeden Tag«, bestätigte Roberto Spranzi, Vorstand der DTG.
Martin Sandler, Geschäftsführer der in-innovative navigation, sieht durchaus eine geänderte Grundeinstellung: »Wir erleben eine neue Offenheit und mehr Schwung.« Als nächste Entwicklungsstufe kann sich Sandler das Platooning in der Binnenschifffahrt vorstellen, einen »Vessel-Train« mit einem bemannten Führungsfahrzeug und autonom folgenden Schiffen. Die Bahnführung gebe es als grundlegende Anwendung bereits.
Schrittweise werde es künftig immer mehr Sensoren an Bord geben, die Integration der Schiffsbrücke werde sich verändern. Dazu brauche es aber auch einen deutlich besseren Web-Service an Land. Fortschritt in kleinen Happen erwartet auch Kerstgens: Das werde modular kommen.
Klar wurde in der Diskussion aber auch: Strukturelle Probleme der Binnenschifffahrt, die sich auch in den Seehäfen ergeben, lassen sich über Digitalisierung nicht beheben. Und gänzlich CO2-frei wird die Binnenschifffahrt durch einen verstärkten Einsatz von digitaler Technik auch nicht. Damit ließen sich viele Aufgaben besser lösen, eine »eierlegende Wollmilchsau«, wie es Sandler nennt, werde dabei aber nicht herauskommen.
Hermann Garrelmann