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In meinem bisherigen Studienverlauf waren Auslandsaufenthalte immer ein wichtiger und fester Bestandteil der Ausbildung, um über den Tellerrand zu schauen, fachliche und sprachliche Kenntnisse zu erweitern. Nach einem Erasmus in Spanien und zwei Fachexkursionen bzw. Fachkursen nach Indonesien entschied ich mich die Masterarbeit in Ottawa, Kanada, zu schreiben. Als studentische Hilfskraft am Ludwig-Franzius-Institut (LuFI) in Hannover sammelte ich schon seit dem Start des Masterstudiums Erfahrungen in physikalischen Modellversuchen. Diesen Erfahrungsschatz wollte ich neben einer Vertiefung der englischen Sprache in Kanada erweitern. Dank Prof. Nils Goseberg, LWI Braunschweig, und Prof. Torsten Schlurmann, LuFi Hannover, fand ich die Möglichkeit in den hydraulischen Einrichtungen der University of Ottawa unter der Leitung von Dr. Ioan Nistor zu arbeiten. Als visiting student researcher unterstützte ich das Projekt einer PhD-Studentin und konnte ein Teil der Ergebnisse auch in meiner Masterarbeit verwenden. Ohne Kurse, Hausarbeiten oder Klausuren konnte ich meine Zeit zu 100% auf die Zusammenarbeit im Projekt fokussieren.

Das Team um Dr. Nistor ist im Bereich der Post-Tsunami Forschung und der resultierenden Schäden der Tsunamis weltweit bekannt. Ich war froh, dass ich unter seiner Betreuung meine fachlichen Kenntnisse vertiefen durfte. Der Fokus des Forschungsvorhabens war der Einfluss des Porenwasserdrucks auf die Entwicklung von Kolken an küstennahen Strukturen. ­Abhängig von der Größe und der Geschwindigkeit der gebrochenen Tsunami-Welle, die als Bore vorantrieb, und den Bodenverhältnissen entwickelt sich der Kolk um Strukturen unterschiedlich. Die zwei Ziele der Untersuchungen waren zum einen der Porenwasserdruck, der vom Bodenwassergehalt, von der Wasserhöhe und der Porosität abhängt, und zum anderen der Unterschied zwischen der maximalen Kolktiefe und der finalen Kolktiefe. Die Kolke werden häufig beim Rückfließen des Wassers von Sedimenten wieder gefüllt. Die Ausbreitungsgeschwindigkeit der hereinkommenden Bore wurde mit einer GoPro Kamera ausgewertet und die Anfangswasserhöhe mit einem Wasserpegel gemessen. An der Teststruktur selber befanden sich zwei Wave Sensors, um den Wasserpegel über den Tensiometern (Messung der Saugspannung) zu messen, und zwei Acoustic Doppler Velocimeter (ADV), um die Geschwindigkeit unmittelbar vor der Struktur zu messen. Die eigentliche Herausforderung war, den Porenwasserdruck im Sand an der Struktur zu ermitteln. Die Plexiglas® Struktur wurde mit neun Tensiometern auf der Front und einem auf der Seite ausgestattet.

Die empfindlichen Messgeräte leiteten den hydrostatischen und dynamischen Druck weiter. Aus der zeitlichen Veränderung des Porenwasserdruckes konnte die PhD-Studentin den Gradienten ermitteln, der die Kolk-Rate beeinflusste. Die Theorie hinter dem Porenwasserdruckgradienten basiert auf die Forschungsarbeit von Tonkin et al. (Tsunami scour around a cylinder. Journal of Fluid Mechanics, 496, 165-192, 2003). Zwei zusätzliche Faktoren, die wir in unserer Arbeit hinzufügten, waren die Bodenwasserverhältnisse und die Neigung des Strandes. Da nach der ersten Tsunamiwelle noch häufig eine weitere Welle folgt, führten wir die Versuche mit jeweils komplett trockenem oder vollgesättigtem Sand durch, um dort die Unterschiede der Kolkentwicklung zu ermitteln. Außerdem fügten wir am Ende der Versuche noch eine Testreihe mit Neigung hinzu, die die Interaktion zwischen der Bore, der Struktur und dem sandigen Strand beeinflusst. Die endgültigen Ergebnisse liegen zum jetzigen Zeitpunkt (Oktober 2019) noch nicht vor, so dass zum jetzigen Zeitpunkt noch keine eindeutige Aussage getroffen werden kann. Diese Ergebnisse werden bei der Aktualisierung des amerikanischen Leitfadens »Minimum Design Loads and Associated Criteria for Buildings and Other Structures (ASCE/SEI 7-16)« herangezogen.

Die Zusammenarbeit in der Wasserbauhalle hat mir einen Einblick in ein neues Forschungsfeld und in den Ablauf einer kanadischen Promotion ermöglicht. Zudem habe ich gelernt, dass es in der Forschung häufig Perioden ohne Ergebnisse gibt, die man mit sehr viel Geduld überbrücken muss. Aber es gilt Herausforderungen anzunehmen, Probleme zu lösen und neue Erkenntnisse zu gewinnen. In einem nächsten Schritt möchte ich ein eigenes Projekt bearbeiten und die komplette Planung und Durchführung übernehmen. Ab Januar 2020 werde ich daher als Research Associate am LuFI meine Promotion beginnen.

Neben den zeitaufwendigen Forschungsarbeiten konnte ich dennoch ein Teil der Zeit zum Reisen nutzen. Im März besuchte ich gemeinsam mit Dr. Nistor einen Workshop in Vancouver an der kanadischen Westküste. Dort wurden zukünftige Möglichkeiten der Nutzung intelligenter und nachhaltiger Infrastrukturen diskutiert. Ich nutze die Zeit aber auch, um die Stadt und die Wintersport-Metropole Whistler zu erkunden. An den Wochenenden konnte ich zudem die Niagarafälle, den umliegenden Nationalpark Gatineau und die Städte Montreal und Toronto besuchen. Zum Schluss meines Auslandsaufenthaltes fuhr ich mit dem Auto die Ostküste entlang. Traumhafte Landschaften, wilde Tiere in der unberührten Natur und an jeder Ecke freundliche und zuvorkommende Kanadier, die immer für Fremde offen sind.

Dank der finanziellen Unterstützung der HTG und eines PROMOS Stipendiums konnte ich mich fachlich und persönlich weiterentwickeln. Besonders der Wunsch zu promovieren hat sich während meiner Zeit in Kanada gefestigt. Ich bedanke mich bei der HTG für die Unterstützung und bei allen anderen, die mir den Auslandsaufenthalt in Ottawa ermöglicht haben.


Tom Kristian Hoffmann