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In der Schleuse Friedrichsfeld bei Voerde-Emmelsum sind die Nischenpoller den Zugkräften der Binnenschiffe nicht mehr gewachsen. Resultat: Die WSV hat die weitere Nutzung der Poller untersagt. Deutlich verlängerte Schleusenumläufe sind die Folge

ie Bedeutung des 60 km langen Wesel-Datteln-Kanals (WDK) für das Ruhrgebiet ist enorm: Er verbindet den Rhein an der Lippemündung mit dem Dortmund-Ems-Kanal und mit wichtigen Industriebetrieben, wie etwa dem Chemiepark Marl und dem Kraftwerk Lünen.

Rund 20 Mio. t Güter transportieren Schiffe pro Jahr über den Kanal, allein 35.000 t in der Woche gehen in Form von Kohle an das Kraftwerk Lünen, das maßgeblich für die Stromversorgung des Ruhrgebiets mit seinen Industrien zuständig ist. Zurzeit darf aber immer nur ein Schiff pro Vorgang in der aus den 1930er Jahren stammenden Schleuse Friedrichsfeld geschleust werden. Üblicherweise wären es aber, je nach Größe, zwei bis drei Schiffe.

Für das Kraftwerk in Lünen bedeutet das, dass sich Umläufe mit Kohle aus Rotterdam um 10 bis 12 Stunden verlängern. Unter ungünstigen Umständen kann die Verlängerung der Umläufe für die Kanal-Anrainer sogar bis zu 24 Stunden gehen.

Die am WDK ansässigen Unternehmen sind alarmiert: Hier drohen unkalkulierbare Lieferzeiten und Kosten. Der Bundesverband der Deutschen Binnenschifffahrt e.V. (BDB) lud umgehend alle Beteiligten zu einem Krisengespräch auf das Schulschiff »Rhein« in Duisburg. Vertreter aus der Industrie (Evonik, Trianel und RWE), dem Schifffahrtsgewerbe (Reedereien) und der WSV folgten der Einladung, um die kritische Situation am WDK zu beleuchten und nach Auswegen zu suchen.

Arndt Glowacki von Evonik Technology & Infrastructure warnte gleich zu Beginn, dass auf lange Sicht Standorte von großen Betrieben wie Evonik, RWE oder Trianel in Schwierigkeiten kommen würden, wenn die Schiffsumläufe unplanbar blieben. Doch auch die Binnenschiffer gerieten so zunehmend in wirtschaftliche Schwierigkeiten, machte Roberto Spranzi klar, denn die Zeitverzögerungen würden sehr schnell die Frachtraten auffressen und am Ende reiche es nicht einmal mehr zur Deckung der Betriebskosten, warnte der Vorstand der Deutschen Transport-Genossenschaft Binnenschifffahrt (DTG). »Es stört die Logistik, vor allem aber bringt es im schlechtesten Fall sogar unsere Bevorratung an ihre Grenzen«, sagt Stefan Paul, Geschäftsführer des Kraftwerkes Lünen.

Erschwerend zur schon schlechten Situation kommt hinzu, dass auch die Nischenpoller der anderen sechs Schleusen nicht mehr zeitgemäß sind und dass, nach Aussage von Hermann Poppen von der Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt (GDWS), eine kurzfristige Reparatur oder gar der Ersatz der Poller gar nicht erst in Erwägung gezogen wird. »Das steht in der Rangfolge der Instandsetzungsmaßnahmen im Mittelfeld«, so Poppen wörtlich. Hintergrund seiner Aussage, sind die viel essentielleren Schäden am Kanalsystem, die eine hohe Sicherheitsrelevanz haben: »Wir schieben eine Bugwelle von Sanierungen vor uns her, die wir derzeit nicht abarbeiten können«, sagt Poppen. »Uns fehlen alleine rund 50 Ingenieure«, erläutert Volker Schlüter, Leiter des WSA Duisburg Meiderich. Er schiebe derzeit wegen Personalmangels knapp 70 Sanierungsmaßnahmen vor sich her, so Schlüter. Im aktuellen Bundesverkehrswegeplan wurden nun zwar ausreichend Gelder für die Sanierung von Wasserstraßen-Infrastruktur bereitgestellt, allerdings fehlt in der Verwaltung das Fachpersonal für Planung und Umsetzung. »Geld gibt der Bund genug. Uns fehlt das Personal, um Aufträge für die Sanierungsarbeiten auf den Weg zu bringen«, erläutert Poppen. Die Bundesverwaltung habe in den vergangenen Jahrzehnten 6500 Stellen, also etwa jede dritte Stelle, abgebaut. Der Bund gebe nun zwar genug Geld für Projekte, schaffe aber keine neuen Stellen, sagt Poppen.

Auch eine Beauftragung externer Fach-Firmen, die die Sanierung im Auftrag der WSA oder der GDWS durchführen, sei ohne eine dichtere Personaldecke nicht möglich, gab Poppen vor. Eine qualifizierte Ausschreibung sei ohne einen Ingenieur auf Seiten der GWDS nicht realisierbar. Also könne er das Problem nicht kurzfristig lösen. Dabei sind die Zustände der Wasserwege in NRW, respektive im Ruhrgebiet, keine Neuigkeit. Der Sanierungsbedarf am Wesel-Datteln-Kanal sei dem Bund seit rund drei Jahrzehnten bekannt, räumte Poppen ein. Die Infrastruktur sei »einfach auf Verschleiß gefahren worden« sagt Poppen, eine Anpassung an das erhöhte Transportaufkommen und an die größeren Schiffe hätte nicht stattgefunden, trotz mehrfacher Mahnungen aus Duisburg. Jetzt sei die Lage in der Tat hochdramatisch, man werde daher versuchen, die Situation erst einmal mit einem Festmacherdienst in den Griff zu bekommen. Dieser übernehme die Sicherung der Schiffe auf dem Schleusenrand, da diese Poller noch nutzbar seien.

Während Festmacher in den Seehäfen zum täglichen Bild dazugehören, sind sie in der Binnenschifffahrt allerdings nicht üblich. Und so ergibt sich auch hier zunächst ein Personalproblem. Hinzu kommt, dass die Kosten eines solchen Dienstes laut GDWS bei rund 1 Mio. € pro Jahr liegen. Außerdem sei dies ein ziemlich langes Provisorium, meint Jens Schwanen, Geschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Binnenschifffahrt, »werfen jetzt zehn Jahre lang Männer Taue hin und her?« fragte er und fügte hinzu: »Das ist kein Sanierungskonzept, sondern Flickschusterei.« Er bedauere, dass die Öffentlichkeit so wenig Anteil an den Problemen der Binnenschifffahrt nehme. Bei der A40-Brücke oder der Leverkusener Brücke sei der öffentliche Druck so hoch, dass schnellere Lösungen aus Berlin unterstützt werden. Schäden an Wasserstraßen seien aber weniger offensichtlich, sie träfen aber den Gütertransport und damit die Wirtschaft und hier könnten schon kleine Schäden eine große Wirkung haben.
Martin Heying