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Zwei wesentliche Fragen zur Zukunft der Binnenschifffahrt standen im Mittelpunkt der diesjährigen Maritime Industry im niederländischen Gorinchem: Woher kommt neues Personal und wie bekommt man die Schifffahrt sauber?

Unter den rund 500 Ausstellern waren auffällig viele Vermittler von Arbeitskräften. Der offensichtliche Bedarf an Fachkräften wurde nicht nur in den Messegängen deutlich. Mit der Aktion »Alle Hens an Dek« (Alle Mann an Deck) wurden strategische Ansätze zur Belebung des Arbeitsmarktes vorgestellt.

Dabei haben sich rund 70 Akteure vereint. Ausbildungseinrichtungen, Unternehmer, Branchenvereinigungen wie auch Sozialpartner und Gemeinden wollen mit konkreten und abgestimmten Aktionen einen Schneeballeffekt anstoßen und so Menschen für eine Tätigkeit in der Binnenschifffahrt animieren. Selbst eine TV-Serie ist in Arbeit. Allein in der Tankschifffahrt, so Experten, könnten derzeit über 200 Stellen nicht besetzt werden. »Das Personalproblem in der Binnenschifffahrt ist groß und dringend«, sagt Annette Augustijn vom Bureau Voorlichting Binnenvaart (BVB).

Wie dringend das sein kann, zeigte neulich ein Stellengesuch auf Facebook, in dem für einen neuen Kapitän auf einem Koppelverband ein »Begrüßungsgeld« von 5.000€ angeboten wurde.

Mit Geld allein aber holt man keine Fachkräfte. So setzen die Akteure darauf, die Stärken und Zukunftschancen der Branche herauszustellen. Dazu einigte man sich auf sechs Versprechungen:

• Sicherung guter Ausbildungsmöglichkeiten auf unterschiedlichen Ebenen und Stärkung der Arbeitsmobilität.

• Eine attraktive Zugangsmöglichkeit für Seiteneinsteiger nicht nur aus dem maritimen Sektor.

• Eine ausreichende Zahl an Ausbildungsplätzen mit entsprechender Begleitung und praxisorientierten Ausbildern.

• Angebote für Karriereperspektiven an Bord und Land, sowohl für fahrende als auch für technische und administrative Mitarbeiter.

• Sicherheit des Arbeitsplatzes und zeitgemäße Arbeitgebereigenschaften, die Entfaltung fördert.

• Eine marktgerechte Entlohnung verbunden mit modernen Arbeitsbedingungen.

Zur Finanzierung dieser speziellen Arbeitsmarktagenda, die bis 2030 laufen soll, will man ein Bündel an Quellen anzapfen, darunter auch den Europäischen Sozialfonds ESF sowie Mittel aus der Abwrackprämie.

Dabei, so verkündet die strategische Agenda, kann die Binnenschifffahrt mit einer ganzen Reihe von positiven Kriterien punkten. Eine moderne Flotte mit guten Wachstumschancen, keine Arbeitslosigkeit unter qualifizierten Mitarbeitern, die Unterstützung der Regierung für mehr Nachhaltigkeit, die Offenheit für Innovationen, Digitalisierung und Wachstum.

Innovationen im Fokus

Neben dem Bemühen um Mitarbeiter waren auf der Maritime Industry viele innovative Ansätze erkennbar. Mit einer neu entwickelten App will die Internetplattform 4Shipping die Anzahl von Leerfahrten reduzieren. Nach Aussagen des Unternehmens fahren Schiffe derzeit zwischen 40 und 50% unbeladen. Das sei schlecht für das wirtschaftliche Ergebnis und für die Umwelt. Die entwickelte Plattform unter dem Namen »Altijd Vol« (allzeit beladen) soll die bereits auf etwa 600 Schiffen eingesetzte Befrachtungsplattform ergänzen. Mit einem neu entwickelten Algorithmus soll aus gemeldeten Leerfahrten die Möglichkeit zur nächsten Beladung ermittelt werden.

Die Anmeldung freien Schiffsraums ist zwar nicht neu – auch der Mitbewerber Bargelink bietet diese Möglichkeit an – »unsere Lösung aber geht noch weiter. Wir suchen aktiv in allen Ladungsströmen der vergangenen zwei Jahre und beziehen diese in unsere Vorschläge mit ein«, sagt Jan Snoeij von 4Shipping.

Eine weitere mobile Applikation für das Smartphone kommt vom niederländischen Startup Trips Wise. Sie zielt darauf ab, unter Verwendung von AIS-Daten und dem Bedienerprofil von Schleusen sowie den Informationen von Lösch- und Ladestellen eine optimale Fahrgeschwindigkeit zu empfehlen. Nach ersten Tests im Labor möchte Entwickler Pascal Kwakkernaat auf verschiedenen Strecken seine App testen. Dafür möchte er zunächst bis zu 100 Binnenschiffer einbinden, die Strecke zwischen Maasbracht über Borne nach Venlo ist dabei als Pilotstrecke gewählt.

Das Projekt COVADEM zur kooperativen Fahrtiefenmessung hat inzwischen eine neue wirtschaftliche Basis bekommen. Bislang getragen von den Instituten Deltares und Marin mit Autena und dem Bureau Telematica Binnenvaart als Partner läuft COVADEM seit Ende 2017 als selbstständiges Projekt. Bislang beteiligen sich 50 Schiffe an der Plattform, innerhalb von drei Jahren, so COVADEM-Sprecher Savelkoul auf der Maritime Industry, soll das Netzwerk auf 250 Schiffe ausgeweitet werden. Dabei strebt man an, die gesammelten Informationen über die Fahrrinnentiefen so aufzubereiten, dass sie als gesonderte Ebene über bestehende ECDIS-Karten gelegt werden können. Für die Entwickler sind die Informationen über die Fahrrinnentiefen eine Grundversorgungsvoraussetzung für Weiterentwicklungen im Bereich des autonomen Fahrens. Dazu gehört unter anderem das Projekt Vesseltrain, mit dem sich Schiffe auf gleicher Route elektronisch als Schleppverband zusammenfügen sollen. Die Technik, aus dem Lkw-Bereich als Platooning bekannt, soll auf Dauer Personal- und Kraftstoffkosten einsparen.

Auf dem Weg zum computergestützten Fahren hat die Innovative Navigation in Gorinchem einen weiteren Meilenstein präsentiert. Mit der Kombination des integrierten Navigationssystems RADARpilot720° mit dem Bahnführungssystem argoTrackPilot ist eine neue Klasse der Schiffssteuerung verfügbar. Leitlinien, bereits Bestandteil des Navigationssystems RADARpilot720°, wachsen mit dem argoTrackPilot zu einem Assistenzsystem für Schiffsführer zusammen, mit dem ein Schiff automatisch auf einer Bahn fährt und bei Abweichungen dorthin zurückgeführt wird. Wenn es die Situation erfordert, kann der Steuermann die aktuell zu fahrende Bahn parallel zur gespeicherten Linie verschieben. Das Schiff schwenkt dann automatisch auf die neue Bahn ein, ohne dass die Bahnführung ausgeschaltet werden muss. Die aktuell gewählte und die gespeicherte Bahn werden zusammen mit allen Daten aus Radar, Karte und AIS dargestellt und geben so dem Schiffsführer alle notwendigen Informationen auf einen Blick. Neue Leitlinien können durch Befahren von Flussabschnitten angelegt werden, vorhandene Leitlinien lassen sich einfach und schnell auf dem Display anpassen.

Die von In–Innovative Navigation vorgestellte neue, präzise Sensorlösung erreicht Genauigkeiten von 10cm für die Position und 0,1° für die Vorausrichtung. Damit kann die Kartendarstellung auch bei großen Schiffen für das Anlegen oder die Schleuseneinfahrt verwendet werden. Zur präzisen Abstandmessung steht ein Laserscanner zur Verfügung.

Darauf bauen die im Forschungsprojekt LAESSI (Leit- und Assistenzsysteme zur Erhöhung der Sicherheit der Schifffahrt auf Inlandwasserstraßen) entwickelten Assistenzfunktionen auf. Für die Brückenanfahrwarnung wird die aktuelle Höhe des Schiffes durch GNSS-Sensoren erfasst und mit der Höhe der nächsten Brücke verglichen. Eine Warnung vor einer zu niederen Durchfahrt kann so weit im Voraus erfolgen. Im Anlegeassistent wird der genaue Abstand zu Spundwand und Ufer beim Anlegen angezeigt. Die präzisen GNSS-Daten erlauben die genaue Darstellung der Schiffsbewegung.

Der Einsatz von Informationstechnologie deckt über die Navigation und Kommunikation weite Segmente der Binnenschifffahrt ab. So präsentierte Ma­rine Power Drechtsteden seinen Flottenmanager, der online und in Echtzeit alle Betriebsdaten aus dem Schiff übermittelt. Angebunden an die CAN-Bus-Alarme werden Motorendaten sowie Daten von weiteren möglichen Sensoren ausgelesen und übermittelt. Das lässt Störungen frühzeitig erkennen, versetzt aber auch den Mechaniker, der zügig an Bord kommen will, in die Lage, die Diagnose zu kennen und so seinen Arbeitsein­satz optimal vorzubereiten und Ersatzteile zielgerichtet anzufordern.

Neben der In-Innovative Navigation gab es weitere Aussteller aus dem deutschsprachigen Raum, die die Maritime Industry nutzten, um ihre Entwicklungen und Produkte in der Branche vorzustellen. Buss Data aus Leer präsentierte erneut sein Software-Paket zum Flottenmanagement, Tehag demonstrierte zeitgemäße Lösungen zur Abgasreinigung, Wessels aus Haren nutzte das Networking in Gorinchem nicht nur zur Kundenpflege, sondern auch für konkrete Auftragsvereinbarungen. Projektbezogene Gespräche gab es ebenfalls bei der von Daniel Gausch und Christian Hochbein geführten GSYard. Dieter Schneider von der Bank für Schifffahrt berichtete von zielorientierten Gesprächen mit Kunden, die ihr Schiff noch vor Inkrafttreten der Motorenrichtlinie NRMM mit einem CCR-2-Motor ausstatten wollen. Der Speller Motorenspezialist Storm zeigte ebenso Messepräsenz wie die HTAG.

Handfeste Neuerungen gab es bei einer Reihe von Unternehmen. Am Stand von Alphatron wurde ein neues Steuerhauspult vorgestellt, das sich bei der Senkung von Steuerhäusern zum Teil mit absenken lässt, um bei Brückenunterfahrungen ausreichend Zugriff auf die Bedienelemente zu haben. Mit einer neuen Einhand-Bedienung lockte Straathof Control Interessenten auf ihren Stand.

In vielen Gesprächen war die Motorenrichtlinie NRMM Gesprächsgegenstand. Die Unsicherheit in der Branche, ab 2020 kaum einem zertifizierten Motor am Markt zu sehen, wurde vielfach geäußert. Und kaum ein Motorenhersteller zeigt Lösungen auf.

Neubauverträge unterzeichnet

Die Schiffswerft De Gerlien van Tiem konnte mit einem Vertragsabschluss die Messenews füttern. Für die Reederei Fluvia baut die Werft in Druten fünf Binnentanker, die auf dem Rhein und im deutschen Kanalgebiet eingesetzt werden sollen. Auch zwischen den Firmen Veth, Mercurius Shipping Group und der Oudcomb gab es einen Eintrag ins Auftragsbuch: Mercurius bestellte zwei neue Schiffe mit jeweils drei Propellerantrieben.

Ihre zukünftige Zusammenarbeit kündigten auch The Blue World und Skoon Energy an. Sie wollen das Binnenschiff »Borelli« mit einem auswechselbaren Akkupaket namens »Skoonbox« ausstatten. So soll der Frachter künftig emissionsfrei fahren und einen Teil der Strecke zwischen Rotterdam und Hengelo vollkommen elektrisch bestreiten.

Sowohl den Ausstellern als auch den Besuchern machte in diesem Jahr die Hitze in den Messehallen zu schaffen. Bei 44 Grad am ersten Tag zeigte sich die Aircondition überlastet, überall standen Wasserspender und Eisautomaten zur kostenlosen Versorgung. Die Aussage der Messeleitung, die neue Klimaanlage käme in wenigen Wochen, war nicht wirklich ein kühlender Trost für die Teilnehmer.


Hermann Garrelmann