Frische Luft als Merkmal des Arbeitsplatzes, das wurde in einer Stellenanzeige versprochen, mit der die Festmachergesellschaft Nord-Ostsee-Kanal Mitarbeiter suchte. Die gibt es nun reichlich für die Teams im »Schleusendecksdienst« am Wesel-Datteln-Kanal
Zwischen dem Nord-Ostsee-Kanal (NOK) und dem Wesel-Datteln-Kanal (WDK) liegen ein paar Hundert Kilometer. Nun haben beide Schifffahrtswege, außer dass sie von West nach Ost ausgerichtet sind, noch eine weitere Gemeinsamkeit: An beiden Kanälen gibt es Festmacherdienste. Am NOK haben diese Arbeitsplätze Tradition. Am WDK sind sie aus einer Not heraus entstanden – oder aus nachlässigen Versäumnissen.
»Die Nischenpoller an den Schleusen im Wesel-Datteln-Kanal dürfen nicht mehr benutzt werden«, hieß es in einer Meldung Anfang April 2018, die sich auf die Schleuse Friedrichsfeld bezog. Dort und auch in anderen Schleusen würden sie den hohen Zugkräften nicht mehr standhalten und für Schiffe und Besatzung in den Schleusen ein unzuträgliches Risiko darstellen.
Aus heiterem Himmel, wenngleich wegen der bisherigen Nutzungsdauer erwartbar, war die Leistungsfähigkeit des WDK mindestens halbiert. Ein Schiff pro Schleusung war noch zugelassen, bis dato, je nach Größe zwei oder drei. Schiffsumläufe von Standorten in Nordrhein-Westfalen nach Rotterdam dauerten plötzlich deutlich länger, die Versorgung wichtiger Industriestandorte am WDK schien gefährdet. Krisentreffen mit Vertretern der zuständigen Behörden, dem Schifffahrtsgewerbe und der Industrie folgten, brachten aber keine erlösende Erkenntnis. Außer der, dass eine schnelle technische Abhilfe nicht in Sicht sei: keine Reparatur, kein Ersatz. »Das steht in der Rangfolge der Instandsetzungsmaßnahmen im Mittelfeld«, wird Hermann Poppen von der Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt (GDWS) seinerzeit zitiert. Gleichwohl, auch wenn Geld verfügbar sei, man habe keine Ingenieure, die die Sanierung planen und betreuen könnten. Sogar für externe Vergabe der Planungsleistungen an Planungsbüros fehlten die hauseigenen betreuenden Fachleute, hieß es.
Mit dem Eingeständnis, seit 30 Jahren zu wissen, dass es am WDK mächtig Sanierungsbedarf gebe, kam auch kein Trost für die Kanalnutzer, die zudem erfahren mussten, dass auch an anderen Kanälen wie dem Datteln-Hamm-Kanal oder dem Rhein-Herne-Kanal Sanierungsbedarf bestehe.
Aus der Not wird eine Tugend
Einzig die zunächst fremd klingende Idee, den schleusenden Schiffen doch eine Festmacherhilfe zur Seite zu stellen, die die Taue von der Schleusenkante her annehmen und damit die oben auf der Schleusenmauer stehenden (intakten) Poller belegen könnten, setzte sich als Lösung durch.
»Dann werfen jetzt 10 Jahre lang Männer Taue hin und her«, wurde die Frage von Jens Schwanen, dem Geschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Binnenschifffahrt (DBD) in den Medien zitiert.
Aus heutiger Sicht lautet die Antwort auf diese Frage: »Jein«. Einerseits sind die inzwischen durch öffentliche Ausschreibung ermittelten Festmacher nicht ausnahmslos Männer. Es seien 32 Männer und eine Frau, bestätigt Richard Fänger vom WSV Duisburg-Meiderich. Anderseits reicht der bislang erteilte Auftrag, den die Kieler Fachfirma mit NOK-Erfahrung an Land gezogen hat, zunächst bis zum Sommer. Dann müsse der Auftrag erneut ausgeschrieben werden, europaweit, wegen der Auftragssumme, so der WSA-Mitarbeiter.
Die Kosten dieser nun seit gut vier Wochen laufenden Dienstleistungen waren vor knapp einem Jahr auf rund 1Mio. € jährlich geschätzt worden. Wie viele Nischenpoller sich dafür vielleicht sanieren lassen, lässt sich nicht ermitteln.
Festmacherdienst funktioniert
Fest scheint aber zu stehen, dass die Festmacher in ihren signalfarbenen Overalls mit roten Helmen gute Dienste leisten. In drei Schichten, an sechs Schleusen, bei Wind und frischer Luft. Lange Wartezeiten vor den Schleusen gebe es in der Regel nicht mehr, bestätigt Fänger. Ein Blick auf Marinetraffic oder andere Infodienste stützt diese Aussage. Und auch die Binnenschiffer seien zufrieden, ist zu vernehmen. An die Besatzungen von Koppelverbänden haben die Festmacher eine verständliche Bitte: Koppelverbände werden gebeten, dem Festmacherdienst keine Stahlkoppelwindendrähte zu übergeben. Es seien Festmacher, Taue oder Drähte in entsprechender Stärke zu benutzen, die der Festmacherdienst auch körperlich bewerkstelligen könne.
Dass nach diesem technischen »Schritt zurück« nahezu zeitgleich über die innovative Idee nachgedacht wird, ob es nicht an der Zeit sei, autonom fahrende Schiffe zunächst auf den westdeutschen Kanälen zu testen, verleiht der Situation am WDK eine ganz besondere Prägung zwischen Tradition und Moderne. Eine grundlegende Sanierung von Schleusen und Kanälen scheint dabei vielleicht aber doch die bessere Idee zu sein.
Hermann Garrelmann