Komfort am Arbeitsplatz wird auch in der Schifffahrt zu einem immer wichtigeren Kriterium. Die Wahl der passenden Sitzgelegenheit rückt dabei zunehmend in den Fokus
Das 2010 gegründete Unternehmen Gerpol mit Sitz in Soest ist auf Sitzsysteme spezialisiert. Anfangs hatte sich die Firma auf die Reparatur von Sitzen für Nutzfahrzeuge fokussiert, doch schnell erkannte sie auch in der Schifffahrt ein großes Potenzial. Deshalb weiteten die Westfalen ihre Tätigkeit nur ein Jahr später auf den Schiffbau aus. Ein wichtiger Schritt war hierbei die eigene Entwicklung der teleskopierenden Hubsäule, durch dessen Inneres etwaig notwendige Stromkabel direkt in den Schiffsboden geführt werden können. Frei liegende Kabel, die zu Stolperfallen werden können, gibt es somit nicht. Nach dem Start auf dem deutschen Markt wurde die Lieferung bereits 2012 auf die gesamt Welt ausgedehnt. Bis heute kommen stetig neue Produkte hinzu.
»Sitzsysteme sind kein Produkt von der Stange«, sagt Gino Amato, Geschäftsführender Gesellschafter von Gerpol im Gespräch mit der »Binnenschifffahrt«. Individuelle Kundenwünsche stünden im Vordergrund. Es sei von Anfang an die Idee gewesen, kein Standardprodukt anzubieten. Dies habe sich bewährt, so Amato. Inzwischen hat die Firma, die er zusammen mit Mariusz Kania leitet, 16 Mitarbeiter.
Bei Gerpol gibt es im Wesentlichen drei Geschäftsfelder: den maritimen Bereich, Krananlagen und Schienenfahrzeuge sowie Nutzfahrzeuge. Sowohl die See- als auch Binnenschifffahrt seien interessante Märkte, sagt Amato. Man konzentriere sich hauptsächlich auf kleinere Projekte.
Im Binnenbereich sind die Kunden hauptsächlich Hafenrundfahrt- und Fährbetriebe. Bei den Seeschiffen zählen auch Marine-Einheiten und die Offshore-Branche dazu.
Neben eigenen Produkten bietet Gerpol Reparaturen und den Austausch von Komponenten an – auch von Systemen anderer Hersteller. Häufig gehen Anrufe ein, bei denen Kunden nicht exakt benennen können, welche Systeme sie haben, schildert Amato. In solchen Fällen helfen vielfach Fotos weiter. Allein anhand von Bildern könne man zu 95% erkennen, um welchen Hersteller es sich handelt, was gemacht und welche Teile ausgetauscht werden müssen.« Man biete also eine adäquate Lösung, sodass nicht immer ein komplett neues System geliefert werden müsse.
Gerpol verfügt neben einer eigenen Reparaturwerkstatt auch über eine Polsterei/Sattlerei. »Diesen Bereich wollen und werden wir für Binnenschiffe ausbauen«, sagt Amato. Dazu zählen Arbeiten an vorhandener Sitzsystemen, aber auch die Lieferung neuer Produkte. Bei der Polsterung gebe es teilweise Wünsche bestimmter Oberflächen, etwa nach Leder, Kunstleder oder Stoff.
Herausforderungen bei der Nachrüstung sei vor allem das begrenzte Platzangebot. Die Kunden erwarten heute vor allem funktionale Systeme. Wichtig seien Drehbarkeit, Verfahrbarkeit und die Höhenverstellung der Sitze. Es gibt festinstallierte aber auch mobile, also verrückbare Systeme, die auch bei stärkeren Wellenbewegungen einen sicheren Stand gewährleisten müssen.
»Die enge Zusammenarbeit mit den Kunden ist für uns entscheidend«, sagt Amato. »Wir lassen uns das Einsatzgebiet des Schiffes beschreiben und unterbreiten dem Kunden daraufhin Vorschläge für das Sitzsystem, das seine Anforderungen bestmöglich erfüllt«, so Amato. Ein weiterer Vorteil der Kundennähe: Häufig kämen Systeme aus dem Ausland, was gewisse Sprachprobleme beinhalte, darüber hinaus gebe es mitunter Schwierigkeiten bei den Zeichnungen, auch der Austausch von Step-Dateien, mit denen 3-D-Formate gekennzeichnet werden, sei nicht immer möglich. Auch deshalb werde unser Vor-Ort-Service geschätzt, sagt der Gerpol-Chef.
Bewusstsein für Sitzposition
Auch weil sich die heutige Jobwelt verändert hat und vermehrt Überwachungsaufgaben oder Kontrollfunktionen anstehen, achten die Unternehmen mittlerweile verstärkt auf eine angenehme und gesundheitsschonende Sitzposition ihrer Mitarbeiter. »Das Bewusstsein ändert sich, insbesondere in Deutschland«, berichtet Amato. Als einen Grund nennt er den Fachkräftemangel. Es wird verstärkt ein Augenmerk darauf gelegt, dass der Bediener vernünftig sitzen und arbeiten kann. »Es bringt keinem Unternehmen etwas, wenn die Mitarbeiter aufgrund von Rückenbeschwerden ausfallen«, unterstreicht der Sitzexperte.
Entsprechend würden Ansprüche an das Federverhalten gestellt, oder sogenannte Lordosestützen für die Bandscheibe nachgefragt. Eine mitdrehende Fußstütze gehört bei Gerpol mittlerweile zum Standard, auf Wunsch können die Produkte aber auch ohne geliefert werden. »Auch hier richten wir uns nach den Wünschen der Kunden«, so Amato.
Forscher hätten sich unter anderem mit dem Abstand des Bedieners zu den Instrumenten beschäftigt, auch diese Vorgaben gelte es einzuplanen und umzusetzen, sagt er. Im Ausland sei das Bewusstsein für eine angenehmere Sitzposition dagegen noch nicht so ausgeprägt. »Aber auch hier wird das kommen«, ist Amato überzeugt.
Ferner wird das Design laut dem Experten zu einem zunehmenden Faktor. Die Eigenschaften des Sitzsystems wie Ergonomie, Komfort sowie die Option, zusätzliche Dinge zu integrieren, etwa eine Sitzheizung oder Klimatisierung, gewinnen an Bedeutung. Noch sei der Prozentsatz zwar gering, »aber auch das wird sich künftig verstärken«, glaubt der Gerpol-Chef. Gerade Binnenschiffer, die lange Zeit auf der Brücke im Steuerhaus verbringen, benötigten einen gewissen Komfort, wie zum Beispiel eine nach vorne verstellbare Rückenlehne, um das Sitzsystem in bestimmten Situationen zu verkleinern. Bei ganz speziellen Fällen passt die Firma die Sitze auch individuell an oder baut eine Verstärkung der Rückenpartie ein.
Nachdem sich Gerpol anfangs nur auf die Ausstattung von Steuerhäusern spezialisiert hat, gehören mittlerweile auch MED-zertifizierte Passagiersitze oder –bänke als Einer- bis zu Fünfersitzmodell zum Portfolio. Mehrere Tausend Einzelsitzplätze seien bereits im Einsatz, so Amato.
Marktanteile vergrößern
Als relativ neues Produkt wurde ein pulverbeschichtetes Sitzsystem aus Stahl entwickelt, wie es beispielsweise im Passagierbereich von einigen neuen Hafenfähren eingebaut ist. Es könne auch aus Aluminium oder Edelstahl oder in einer gepolsterten sowie in einer Klappvariante gefertigt werden, betont Amato. Der Auftraggeber für die Hafenfähren war die Firma HA-EFF Kunststoffe aus Bremen, einer der Kunden von Gerpol, der für den Innenausbau zuständig ist.
Künftig wollen sich die Soester auch auf die Fertigung und Lieferung von Möbeln konzentrieren. Auch hier stünden eher kleinere Projekte im Blickfeld. In diesem Jahr lautet die Zielsetzung, den Marktanteil im Bereich Binnenschifffahrt zu vergrößern und den Bekanntheitsgrad zu steigern, sagt Amato.
Auch das Geschäftsfeld Krananlagen und Schienenfahrzeuge soll 2019 intensiviert werden. Insbesondere ältere Gravita-Lokomotiven werden nach Auskunft des Managers mit Sitzsystemen von Gerpol ausgestattet. Die neuen Führerstandsitze hätten zu große Abmessungen und würden somit gar nicht mehr in das Führerhaus passen.
Krananlagen seien ebenfalls ein wichtiges Thema, hier könne man auch Sitzsysteme mit einem sogenannten V-Ausschnitt liefern, damit der Kranführer aus seiner hohen Sitzposition heraus besser nach unten gucken könne.
Im Sommer dieses Jahres will Gerpol sein neues Firmengebäude in Soest beziehen. Dadurch sollen sich die Flexibilität erhöhen und die internen Abläufe optimiert werden, weil die Wege zwischen den einzelnen Abteilungen verkürzt werden.
In diesem Jahr soll das Team zudem mit ein bis zwei zusätzlichen Mitarbeitern verstärkt werden. Im technischen Bereich plant man die Ausbildung voranzutreiben, dafür strebt Gerpol eine Kooperation mit der Fachhochschule Südwestfalen an. Darüber hinaus steht das Unternehmen kurz vor der Erteilung der ISO9001-Zertifizierung. Der Ist-Zustand sei schon aufgenommen, berichtet Amato. Die Umsetzung ist in den kommenden Monaten geplant.
Im kommenden Jahr soll eine Zweigstelle samt Reparaturwerkstatt in Hamburg errichtet werden, um eine bessere Nähe zu den Kunden zu gewährleisten und kurzfristige Reparaturen an Sitzsystemen durchzuführen. Im Verlauf dieses Jahres will man mit den Planungen beginnen.
Thomas Wägener