Auf dem 23. Oder/Havel-Colloquium stand die Suche nach einem innovativen Transportsystem für die Oder im Mittelpunkt der Diskussionen. Viele Vorschläge für die Verbesserung der Schifffahrtsbedingungen und für neue Schiffe wurden unterbreitet
Seit längeren hat sich der Oderverein (OHV) damit beschäftigt, Wege und Möglichkeiten zur Verbesserung der Schifffahrtsbedingungen für die Oder zu finden. Ein Kolloquium schien dafür das geeignete Mittel. So fanden sich unter den 50 Teilnehmern auch polnische Gäste aus Logistikunternehmen, Reedereien, Speditionen und der Verwaltung des Hafens von Stettin (Szczecin).
Wie bereits im Dezember 2017 berichtet, hatte das polnische Ministerium für maritime Wirtschaft und Binnenschifffahrt (PMWB) damals ein umfangreiches Programm zur Entwicklung der polnischen Binnenwasserstraßen und Flotte auf den Weg gebracht. Das Jahr 2019 wurde im Nachbarland zum »Jahr der Oder« ausgerufen.
Der Oderverein und die IHK Ostbrandenburg pflegen seit vielen Jahren sehr freundschaftliche Beziehungen zu allen wichtigen polnischen Binnenschifffahrtsunternehmen, den Häfen und den polnischen Wasserstraßenämtern an der Oder. Seit der wichtigen Schifffahrtskonferenz im November 2017 in Breslau (Wroclaw) stand für OHV und IHK fest, ein Kolloquium folgen zu lassen.
Neue Schiffstypen für die Oder
Prof. Horst Linde, Emeritus am Institut für Land- und Seeverkehr der TU Berlin, betrachtete die Schiffbarkeit des Flusses und geeignete Schiffstypen wie Motorschiff oder Koppelverband. Die Schubverbandtechnik rückte aber ganz klar in den Vordergrund – wegen günstiger Teilladungseigenschaften, großer und flexibler Verbandsgrößen oder der Navigierbarkeit auf schwierigen Fahrwassern mit modernster Manövriertechnik.
Linde verdeutlichte, dass eine verkehrspolitisch gewollte Reaktivierung der Schifffahrt auf einem so schwierigen Gewässer wie der Oder nicht nur über den Ausbau des Wasserwegs, sondern erheblich auch über die einzusetzenden Schiffe erfolgen müsse.
Es seien innovative Impulse gefragt, wie es sie zurzeit in der gesamten europäischen Binnenschifffahrt gebe. Einige davon könnten auch interessant für die Oder sein. Wichtig sei, dass die Technik bereits unter den heutigen Schiffbarkeitsbedingungen einsetzbar sei und nach erfolgter Beseitigung von örtlichen Schwachstellen einen deutlichen Effizienzgewinn verspreche.
Die Entwicklung im Nachbarland sei auch wichtig, weil deutsche Wirtschaftsinteressen positiv beeinflusst werden könnten. Es biete sich hier die Gründung eines neu zu etablierenden multinationalen Schifffahrtsunternehmens an, möglicherweise auch unter Beteiligung tschechischer Interessen.
Detlef Aster, Dezernatsleiter in der ehemaligen Wasser- und Schifffahrtsdirektion Ost, erläuterte anhand der möglichen Abladetiefen der Oder unterhalb von Malczyce, dass die Wirtschaftlichkeit von Schiffstransporten mit den heute verkehrenden Fahrzeugen nur sehr schwer berechnet werden könne. Neuere Untersuchungen zeigten, dass für die Grenzoder durch Strombaumaßnahmen Wassertiefen von 1,80 m mit definierten Wahrscheinlichkeiten erreichbar wären, was besonders den sicheren Eisaufbruch gewährleisten würde.
Aster führte allerdings auch aus, dass die Umsetzung der Planungen aus mehreren Gründen noch sehr viele Jahre dauern könne und die Gefahr wachse, dass sich Verkehrsströme aus ökonomischen Gründen von der Wasserstraße wegverlagern könnten. Daher sei Eile bei der Projektplanung ebenso geboten wie bei der Personalausstattung. »Es müssen schnellere, pragmatische Wege gesucht werden«, so Aster. Sonst bleibe alles Bemühen um die Schifffahrtsstraße Oder nur eine politische Vision. Dann würde die Güterschifffahrt schon in wenigen Jahren ins »Koma« fallen und vielleicht nie wieder daraus erwachen.
Schiffbauexperte Linde geht davon aus, dass das vorgeschlagene Transportsystem das gesamte Stromgebiet der Oder umfasst, also auch die Seehäfen Stettin/Swinemünde mit dem Wirrtschaftsraum Breslau/Oberschlesien verbunden werden. Hier vermutet er erhebliches binnenschiffaffines Nachfragepotenzial bei Massengut, Projektladung, vor allem aber bei Containern. Es müsse noch geprüft werden, ob kleinere Unterzentren wie zum Beispiel Kostrzyn, Krosno, Nowa Sol oder Glogow genug Ladung für mehr oder weniger regelmäßige Anläufe aufbieten könnten.
Auf jeden Fall sollten die deutschen Wirtschafts- und Hafenstandorte wie Schwedt, Eisenhüttenstadt oder auch Frankfurt (Oder), in ein grenzüberschreitendes Verkehrssystem einbezogen werden. Sie könnten bei ausreichender Ertüchtigung der Wasserstraße profitieren. Eine langfristige Perspektive wäre zudem die vielfach diskutierte Kanalverbindung zwischen Oder und Donau.
Im Vorgriff auf eine detailliertere Analyse ist Linde der Auffassung, dass zwischen den Ostseehäfen und dem umrissenen Hinterland eine erhebliche Bandbreite binnenschiffsaffiner Güter zu erwarten sei.
Linde zog zum Vergleich den Entwurf eines flachgehenden containergeeigneten Motorgüterschiffes der Roßlauer Schiffswerft heran (110 m x 11,4 m, Abladungsbereich mindestens 1 m–max. 2 m), konzentrierte sich dann aber auf die Schubverbandstechnik. Er definierte auch hier einen Entwurfsbereich von Ladetiefgängen von 1 m–2 m und skizzierte Leichtergrößen von 53 m x 9 m, vorzugsweise für den Oderabschnitt oberhalb von Breslau bis Gleiwitz, dort in 2er-Verbänden, eventuell mit Entkopplung. Unterhalb von Breslau seien auch 3er- oder 4er-Verbände denkbar mit Leichtergrößen von 78 m x 11,4 m.
Das von Linde vorgeschlagene Konzept schließt landseitige Assistenzsysteme ein, im Zusammenwirken mit einer integrierten Steuertechnik für Hauptantrieb, Hauptruder, lenkbare Leichter-Kopplung und Bugstrahlruder, um damit lange und breite Verbände sicher durch das schwierige Oder-Fahrwasser zu navigieren.
Leichtbauweise spart Tiefgang
Aluminiumschaumplatten in Sandwichbauweise, die im Chemnitzer Fraunhofer-Institut für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik IWU entwickelt wurden, könnten einen möglichen Schiffsentwurf weiter verbessern. Die SMK Ingenieure GmbH hat in Kooperation mit der SET Schiffswerft in Tangermünde bereits eine Sektion als Anschauungsobjekt gefertigt. Nun warte man auf den ersten Interessenten an einem derartigen Pilotschiff.
Das Material habe je nach Stärke die gleiche Steifigkeit wie normale Schiffbauplatten aus Stahl, aber ein um 25% deutlich reduziertes Eigengewicht. Ein Roßlauer Gütermotorschiff hatte nur noch von 0,6 m Tiefgang, könnte aber 20 % mehr Ladung transportieren als ein reines Stahlschiff.
Andreas Häfner, Geschäftsführer der BEST-Logistik Stettin, ein polnischer Schwergut-, RoRo- und Projektladungsspezialist, sagte zur gegenwärtigen Lage: »Der Verkehr zwischen Stettin und Schlesien ist nur noch bei Sondertransporten und genügend Wasser möglich. Aller übriger Frachtverkehr ist eingestellt. Unser bisher größtes RoRo-Kollo wog 482 t. Für Stückgewichte über 250 t müssen meist größere Schubleichter genommen werden, um durch Ballastaufnahme niedrige Brücken unterfahren zu können, wie wir das mit Siemensturbinen machen, die wir von Berlin bis Stettin oder Benelux bringen. Für solche Transporte ist die Binnenschifffahrt unerlässlich. Polens Regierung hat mit ihrem Ausbauprogramm signalisiert: Wir haben verstanden.«
Kritik an deutscher Politik
Eine Podiumsdiskussion, moderiert von Michael Fiedler, Geschäftsführer der Mittelbrandenburgischen Hafengesellschaft Königs Wusterhausen, fragte, wie die deutsch-polnische Zusammenarbeit in Bezug auf die aktuelle Schiffbarkeit der Oder gestaltet werden müsste.
Marta Ochnichowska, Schifffahrtsamt Stettin: »Polnische Schiffe fahren überwiegend über die Hohensaaten-Friedrichsthaler Wasserstraße bis nach Westeuropa. Probleme haben wir keine, aber eine direkte Zusammenarbeit gibt es nur beim Eisaufbruch. Jeder macht sonst das seine.«
An Robert Schumann gefragt: »Was bedeutet die Oder Ihrem Ministerium im Schifffahrtbereich?«
Schumann: »Wir sind da in keiner guten Situation. Die Schifffahrt ist darauf angewiesen, dass ihr leistungsfähige Wasserstraßen hergerichtet werden. Dadurch, dass der Neubau der Schleuse Fürstenwalde immer wieder hinausgeschoben wurde, ist zum Beispiel der Oder-Spree-Kanal zur Restwasserstraße mutiert, was den Neubau der Schleusen Wernsdorf und Kersdorf vor und hinter Fürstenwalde als Lachnummer disqualifiziert.«
Jacek Galiszkiewicz, NAVIGAR TRANS Stettin: »Wir brauchen zwischen Stettin und Berlin und weiter leistungsfähige Tauchtiefen. Die HoFriWa ist mit zeitweise nur 1,50 m Tauchtiefe nicht mehr wirtschaftlich zu befahren. Das muss die deutsche Seite beheben.«
David Schütz, Deutsche Binnenreederei: »Für Sondertransporte ist die Oder nur noch selten befahrbar. Massenguttransporte finden gar nicht mehr statt. Da wir aber durch die Odratrans AS gekauft worden sind, können wir auch auf eine gute Zusammenarbeit mit polnischen Behörden bauen und auch polnische Güter transportieren.«
Prof. Karl-Heinz Breitmann, ehemals Uni Rostock und 1960 bei der Binnenreederei bei Niedrigwasser gefahren: »Wenn wir mit den Wasserstraßen nicht vorankommen, wird die Binnenschifffahrt nur wenig Entwicklungsmöglichkeiten haben. Der Staat ist dafür verantwortlich, ordentliche Wasserstraßen vorzuhalten. Infrastruktur kann auch durch die EU gefördert werden. Man muss die Möglichkeiten nur in Anspruch nehmen.
Brandenburg und MV sind auf den Nebenwasserstraßen regelrechte Tourismus-Giganten. Auf der Ostsee finden rund zehn Prozent des Weltseeverkehrs statt. Der Seehafen-Hinterlandverkehr hätte durch die Binnenschifffahrt den leistungsfähigsten Verkehrsträger, wenn man die anderen Verkehrsträger nicht vorziehen würde.«
In seinem Schlusswort formulierte Gerhard Ostwald, Vorsitzender des OHV: »Die Oder verbindet unsere beiden Länder und trennt sie nicht mehr. Deutsche und polnische Ämter arbeiten freundschaftlich zusammen, Ostbrandenburg und die Wojewodschaft Lebus ebenso. Ich hoffe, dass unser 23. Colloquium dazu beiträgt, dass die Ertüchtigung der Oder-Wasserstraße der Wirtschaft unserer beiden Länder zu Gute kommen wird.«
Christian Knoll