Fährt ein Schiff einen ordnungsgemäß gemerten Stilllieger an, so spricht der Beweis des ersten
Urteil des Rheinschiffahrtsgerichtes Duisburg-Ruhrort vom 12. April 2018, Az.: 5 C 19/17 BSchRh (rechtskräftig) – Die Beklagte hat im Berufungsverfahren vor dem Rheinschiffahrtsobergericht Köln nach Erörterung der Sache die Berufung zurückgenommen.
Anscheines für ein Besatzungsverschulden auf Seiten des anrennenden Schiffes.
Dieser Anscheinsbeweis kann erschüttert werden, wenn der Eigner des anrennenden Schiffes darlegt und beweist, dass er den Antritt der Fahrt in der gebotenen Weise sorgfältig abgewogen hatte und die Havarie auf Zufall oder höherer Gewalt im Sinne des § 92a BinSchG beruht.
Jedenfalls bei vereister Wasserfläche ist in einem Baggerloch das Manövrieren ausschließlich unter Bugstrahl unzulässig, mindestens wenn ein Gefährdungspotenzial für Anlagen und Schiffe im und am Baggerloch besteht. Hat das Schiff einen so geringen Tiefgang, dass die Hauptmaschine über den Propeller nicht ordnungsgemäß arbeiten kann, ist der Schiffer verpflichtet, Ballastwasser aufzunehmen. Er darf nicht darauf vertrauen, dass er das Schiff allein mit der Bugstrahlanlage aufstoppen kann, zumal auch die Bugstrahlanlage durch losgebrochene Eisbrocken oder andere im Wasser treibenden Gegenstände verstopft werden könnte.
Urteil des Rheinschiffahrtsgerichtes Duisburg-Ruhrort vom 12. April 2018, Az.: 5 C 19/17 BSchRh (rechtskräftig) – Die Beklagte hat im Berufungsverfahren vor dem Rheinschiffahrtsobergericht Köln nach Erörterung der Sache die Berufung zurückgenommen.
Die Beklagen werden als Gesamtschuldner unbeschränkt persönlich haftend verurteilt, an die Klägerin 22.576,45 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 03.11.2017 zu zahlen, die Beklagte zu 1) zusätzlich dinglich haftend mit einem am 23.01.2017 an MS »Mon Desir« entstandenen Schiffsgläubigerrecht …
Aus dem Tatbestand
Die Klägerin begehrt Schadensersatz von den Beklagten im Zusammenhang mit einer Havarie, die sich am 23.01.2017 in dem Baggerloch Reeserschanz in Höhe Rhein-km 838 ereignet hat.
Die Klägerin ist Kaskoversicherer der Motoryacht »Nadine«, die im Eigentum ihres Versicherungsnehmers K steht. Die Klägerin hat ihrem Versicherungsnehmer den bei der Havarie an »Nadine« entstandenen Schaden ersetzt und geht aus übergegangenem Recht gegen die Beklagten vor. »Nadine« lag am Schadenstag ordnungsgemäß gemert an einer Steganlage für Sportboote in dem Baggerloch Reeserschanz.
Die Beklagte zu 1) ist Schiffseignerin des MS »Mon Desir«. Das Schiff hat eine Länge von 86 m, eine Breite von 10,50 m und bei einem Tiefgang von 3,78 m eine Tragfähigkeit von 2.240 t. »Mon Desir« erfüllt leer und ohne Ballast die Manövriereigenschaften des Kapitel 5 der RheinSchUO. Der Beklagte zu 2), Geschäftsführer der Beklagten zu 1), war am Schadenstag verantwortlicher Schiffsführer.
Der Beklagte zu 2) hatte mit MS »Mon Desir« in der Nacht vom 22. auf den 23. Januar 2017 in dem Baggerloch am Ladeponton gelegen. Er sollte am nächsten Morgen dort eine Ladung Kies aufnehmen. Zum Schadenszeitpunkt war »Mon Desir« leer. Der Tiefgang am Heck betrug etwa 1,40 m. Das Baggerloch Reeserschanz hat eine Ausdehnung von etwa 1.000 m in Ost/West-Richtung und von etwa 300 m in Nord/Süd-Richtung. Das Baggerloch ist 12 bis 13 m tief, Es war am Morgen des 23.01.2017 mit einer Eisschicht bedeckt.
Der Beklagte zu 2) erhielt am 23.01. gegen 7:00 Uhr von dem Mitarbeiter K der Firma D, die die Auskiesung in dem Baggerloch vornimmt, einen Anruf. Er wurde gebeten, dem Schleppboot »Leny« Hilfe zu leisten, das etwa 20 m von der Steganlage des Yachtklub Xanten entfernt im Eis festsaß und nicht aus eigener Kraft zu dem Saugbagger, bzw. dem Ladeponton fahren konnte. Eine Rückkehr zum Steg wäre möglich gewesen. Der Beklagte zu 1) wurde gebeten, mit »Mon Desir« als Eisbrecher zu fungieren, damit die Besatzungsmitglieder K und B von »Leny« zu ihren Arbeitsplätzen gelangen konnten.
Der Beklagte zu 2) kam der Bitte nach. Er nahm kein Ballastwasser auf. Er ließ »Mon Desir« von dem Matrosen M losmachen und bewegte das Schiff mit Hilfe der Bugstrahlruderanlage. Bei dieser Anlage handelt es sich um eine Querstrahlsteueranlage der Firma von Wijk. Das durch den Propeller gestrahlte Wasser wird über eine auf dem Schiffsboden im Bugbereich befindliche vergitterte Öffnung angesaugt und über einen drehbaren Lamellenrost wieder ausgestoßen. Das Schiff kann mit Hilfe des Bugstrahlruders in alle Richtungen bewegt und ohne Einsatz der Hauptmaschine manövriert werden.
Da »Mon Desir« leer war und mit dem Heck nur etwa 1,40 m tief im Wasser lag, ragte der Propeller mit dem Durchmesser von 1,65 m etwa 25 cm aus dem Wasser. Da der Propeller bei dieser Lage in Rückwärtsstellung Luft zieht, konnte er für die Rückwärtsfahrt nicht eingesetzt werden.
Der Beklagte zu 2) bewegte das Schiff mit Hilfe der Bugstrahlruderanlage zunächst rückwärts schräg nach Backbord. Nach etwa zwei Schiffslägen stoppte er auf und drehte den Bug mit dem Bugstrahl etwa 90 Grad nach Steuerbord. Dann nahm er mit der Hauptmaschine langsam Fahrt auf und fuhr in einem Bogen Kurs voraus auf »Leny« zu. Nach einer Fahrstrecke von etwa zwei Schiffslängen befand sich »Mon Desir« in der Nähe von »Leny« und der Beklagte zu 2) wollte mit Hilfe des Bugstrahlruders aufstoppen. Bei einer Geschwindigkeit von 3 bis 4 km/h kann »Mon Desir« üblicherweise mit dem Bugstrahl auf einer Strecke von 20 bis 25 m aufgestoppt werden. Obwohl die Maschine arbeitete, entfaltete der Bugstrahl keine Wirkung. »Mon Desir« glitt langsam auf die knapp eine Schiffslänge entfernte Steganlage zu.
Es kam zu Funkkontakt zwischen der Besatzung von »Leny« und dem Beklagten zu 2). Der Beklagte zu 2) versuchte, unter Einsatz der Ruderanlage der Hauptmaschine nach Backbord an der Steganlage und dem Klubhaus vorbei zu steuern. Dies gelang nicht. Der Beklagte zu 2) unternahm keinen Versuch, das Schiff durch Werfen des Notankers zu stoppen. »Mon Desir« kollidierte mit dem Klubhaus und der Steganlage und beschädigte am Steg liegende Motorjachten, darunter »Nadine«. An »Nadine« entstand hoher Sachschaden.
Der Schaden wurde taxiert.
Nach der Havarie funktionierte die Bugstrahlruderanlage wieder einwandfrei …
Die Klägerin behauptet, der Beklagte zu 2) habe sich bei seinem gefährlichen Manöver nicht allein auf die Bremswirkung des Bugstrahls verlassen dürfen. Er habe angesichts des Eisvorkommens im Revier damit rechnen müssen, dass sich eine Eisplatte in den Bugstrahlantrieb setzen und diesen blockieren könnte. Die Klägerin ist der Ansicht, der Beklagte zu 2) habe es in der gegebenen Situation an der erforderlichen nautischen Sorgfalt mangeln lassen. Er habe die Fahrt in dem vereisten Wasser ohne Ballastwasser nicht antreten dürfen. Der gegen den Beklagten zu 2) sprechende Beweis des ersten Anscheins sei nicht erschüttert.
Die Beklagten behaupten, bei alleinigem Einsatz des Bugstrahlruders weise »Mon Desir« auch bei Eis in einer Stärke von 3 bis 5 cm gute Manövriereigenschaften auf. Das Bugstrahlruder sei intakt und einsatzbereit gewesen. Der plötzliche Ausfall müsse durch Eis verursacht worden sein, das sich in oder vor der Ansaugvorrichtung verklemmt habe. Der Beklagte zu 2) sei mit etwa 3 bis 4 km/h und damit nicht zu schnell gefahren. Eine solche Geschwindigkeit sei zur Erhaltung der Manövrierfähigkeit notwendig gewesen. Die Beklagten sind der Ansicht, der Klägerin stehe kein Ersatzanspruch zu, da der Unfall auf Zufall oder höherer Gewalt beruhe, §§ 92, 92 a BinSchG. Der gegen die Beklagten sprechende Beweis des ersten Anscheins für ein Verschulden des Schiffsführers sei erschüttert. Die Beklagten hätten den Nachweis der Möglichkeit eines andren als des typischen Geschehensablaufes (Unachtsamkeit und/oder zu geringer Sicherheitsabstand) erbracht. Dies folge aus den Aussagen der im Verklarungsverfahren gehörten Zeugen B und K. Die Klägerin könnte keine schuldhafte Pflichtverletzung des Beklagten zu 2) darlegen und beweisen …
Aus den Entscheidungsgründen
Die Klage ist begründet.
Die Klägerin hat Anspruch auf Schadensersatz gegenüber den Beklagten aus §§ 823 Abs. 1, 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 1.04 RheinSchPVO, bzw. § 3 Abs. 1 BinSchG, in Verbindung mit § 86 VVG.
1. Da MS »Mon Desir« auf einen ordnungsgemäß vertäuten Stilllieger aufgefahren ist, besteht der Anschein, dass die Havarie ihre Ursache in einem von dem Schiffsführer zu verantwortenden nautischen Fehler hat (vgl. OLG Köln, VersR 1979, 439; Bemm/v.Waldstein, RheinSchPV, 3. Auflage, § 1.04 RheinSchPV, Rn. 43; v. Waldstein/Holland, Binnenschiffahrtsrecht, 5. Aufl. § 92 b BinSchG, Rn. 76ff).
Die Beklagten haben diesen gegen sie sprechenden Anschein, dass die Havarie auf einem Verschulden des Beklagten zu 2) als Schiffsführer des anfahrenden Schiffes beruht, nicht erschüttert. Sie haben nicht zur Überzeugung des Gerichts den Nachweis zu erbringen vermocht, dass ein anderer als der typische Geschehensablauf (mangelnde Aufmerksamkeit, zu späte Reaktion) vorliegt.
Der Beklagte zu 2) ist zwar bei der Fahrt selbst nicht unaufmerksam gefahren. Dies geht aus dem von den Zeugen Bleeker und K bekundeten Funkgespräch hervor. Dem Beklagten zu 2) ist aber ein Verschulden am Zustandekommen die Havarie anzulasten. Das Gericht hat davon auszugehen, dass er fahrlässig im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB gehandelt hat.
Fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt, § 276 Abs. 2 BGB. Erforderlich ist das Maß an Umsicht und Sorgfalt, das nach dem Urteil besonnener und gewissenhafter Angehöriger des in Betracht kommenden Verkehrskreises zu beachten ist (Palandt-Grüneberg, BGB, 75. Auflage § 276 Rn. 16 mit Nachweisen aus der Rechtsprechung). Maßgeblich ist hier, wie sich ein alle konkreten Umstände berücksichtigender verantwortlicher Schiffsführer verhalten musste.
2. Die Beweisaufnahme hat nicht ergeben, dass der Beklagte zu 2) die möglichen Risiken einer Fahrt in die Nähe von »Leny« in der gebotenen Weise sorgfältig abgewogen hätte und dass die Havarie auf Zufall oder höherer Gewalt im Sinne des § 92 a BinSchG beruht. Die Vermutung eines Verstoßes gegen die Sorgfaltspflichten des § 1.04 RheinSchPVO hat er nicht widerlegt.
In der Situation am Morgen des 23.01.2017 war es bei sorgfältiger Abwägung der zu berücksichtigenden Gegebenheiten sorgfaltswidrig, »Mon Desir« in der von dem Beklagten zu 2) gehandhabten Weise als Eisbrecher für »Leny« einzusetzen .
Das GMS »Mon Desir« war angesichts seines Gewichts und seiner Motorisierung geeignet und in der Lage, Eis in der Stärke von 3 bis 5 cm (so die Schätzungen des Beklagten zu 1), bzw. des Zeugen B zu dem Eisstand am Morgen des 23.01.2017) zu brechen. Eis in dieser Stärke behinderte die Manövriereigenschaften des Schiffes grundsätzlich nicht. Dies wird daran deutlich, dass »Mon Desir« allein mit Hilfe des Bugstrahls ohne Probleme rückwärts vom Ponton wegbewegt und sodann mit der Hauptmaschine in einem Bogen vorwärts gefahren werden konnte.
Zum Zeitpunkt der Havarie war es dunkel und leicht diesig. Der Beklagte zu 2) fuhr unter Radar. Ihm waren die örtlichen Verhältnisse von den vorangegangenen Reisen vertraut. Die Fahrt bis in die Nähe von »Levy« stellte für sich gesehen auch kein außergewöhnliches nautisch schwieriges Manöver dar.
Das Baggerloch Reeser Schanz ist angesichts der Größe von »Mon Desir« kein Revier, in dem ein solches Eisbrechmanöver von vornherein ein besonderes Gefährdungspotential für Anlagen und Schiffe im und am Baggerloch barg. Die Ausdehnung des Baggerlochs von etwa 1.000 m Länge und 300 m Breite erlaubte unproblematisch alle Manöver eines GMS von 86 m Länge und 10,50 m Breite. Der Beklagte zu 2) hatte am Vorabend »Mon Desir« in das eisbedeckte Baggerloch geführt und an dem Beladeponton festgemacht. Zum Zeitpunkt der Havarie lagen weitere GMS an anderen Positionen in dem Baggerloch. Der Beklagte zu 2) verfügte auch über langjährige nautische Erfahrung auch im Hinblick auf die Besonderheiten der Fahrt in eisbedeckten Revieren …
Der Beklagte zu 2) hätte aber erst Ballastwasser aufnehmen müssen, bevor er den Versuch unternahm, »Leny« auf direktem Wege aus dem Eis freizufahren. Das Heck des GMS hatte in unbeladenem Zustand einen so geringen Tiefgang, dass der Propeller 25 cm aus dem Wasser ragte. Nach der Schätzung des Beklagten zu 2) wären etwa 1.200 t Ballastwasser erforderlich gewesen, um einen Tiefgang von 2,40 m bis 2,50 m zu erreichen. Erst dann hätte er die Hauptmaschine einsetzen können, um zum Aufstoppen rückwärts zu machen. Dass das Aufnehmen einer derartigen Menge Ballastwasser erhebliche Zeit in Anspruch genommen hätte, steht nicht entgegen.
Das Gericht hat bedacht, dass der Beklagte zu 2) lediglich einer Bitte um Hilfeleistung nachgekommen ist. Dieser Umstand minderte aber jedenfalls gegenüber dem Rechtsvorgänger der Klägerin als unbeteiligtem Dritten nicht den Grad der in der konkreten Situation einzuhaltenden Sorgfalt. Die Hilfeleistung für die Besatzungsmitglieder von »Leny« war überdies nicht geboten und umgehend erforderlich, um sie aus einer Notlage zu befreien. Ein Unfall im Sinne des § 1.16 Ziffer 2 RheinSchPV lag nicht vor. Die Besatzung von »Leny« hätten nach ihrem Bekunden mit eigener Kraft an den Steg zurückkehren können. Der Beklagte zu 2) wollte die Hilfe leisten, um den Mitarbeitern des Kiesunternehmens die Arbeitsaufnahme und damit auch die alsbaldige Beladung seines Schiffes zu ermöglichen. Insoweit handelte er auch im eigenen Interesse …
Es kann dahinstehen, welche genaue Ursache der zeitweise Ausfall der Bugstrahlruderanlage hatte. Der Beklagte zu 2) jedenfalls hat nicht bedacht, dass die im Bugbereich befindliche Anlage durch vom Kopf des Schiffes losgebrochene Eisbrocken oder Platten oder durch andere im Wasser treibende Gegenstände verstopft werden könnte …
Der Beklagte zu 2) ist mit 3–4 km/h bis etwa 60 m an den Steg herangefahren, an dem »Nadine« festgemacht war. Er hätte in Erwägung ziehen müssen, dass er das Schiff bei einem eventuellen Versagen des Bugstrahlruders auf einer Strecke von weniger als einer Schiffslänge nicht mehr kollisionsvermeidend an dem Steg und den dort liegenden Yachten vorbei navigieren konnte. Da er mit der Hauptmaschine nicht rückwärts machen und im Notfall auch nicht den Notanker erfolgversprechend einsetzen konnte, durfte sich der Beklagte zu 2) nicht darauf verlassen, dass die allein für das Aufstoppen zur Verfügung stehende Bugstrahlruderanlage in jedem Falle funktionieren werde.
Zu Lasten der Beklagten war zu werten, dass auch ein Kurs hätte gewählt werden können, bei dem eine Kollision mit dem Steg aller Wahrscheinlichkeit nach vermieden worden wäre …
Wenn der Beklagte zu 2) trotz Abwägung der Risiken die Fahrt ohne Aufnahme von Ballastwasser antrat, hätte er der Gefahr einer Kollision mit dem Steg und den Yachten begegnen, bzw. sie minimieren können, wenn er nicht nahezu frontal auf die Steganlage zu gefahren wäre …
3. Die Höhe der klägerischen Forderungen steht außer Streit. Der Klägerin war angesichts dessen der geforderten Schadensersatzbetrag zuzusprechen.