Polen will den Ausbau der Binnenwasserstraßen vorantreiben. Den Anfang macht die Oder, für die nun das Konzept für eine umweltverträgliche Gestaltung der Grenzoder vorgelegt wurde
Pläne wurden von einer Delegation von verantwortlichen Vertretern der regionalen Wasserbehörde Stettin (RZGW) und der Wasserbaufirma Sweco in der Ostbrandenburgischen IHK dargelegt. Von deutscher Seite nahmen neben den Vertretern der IHK auch Verantwortliche aus Kommunen der Region, der Stadtverordnetenversammlung von Frankfurt/Oder, aus anliegenden Kommunen, auch von polnischer Seite, aus Ämtern des Gebietes, des Vereins zur Förderung des Oder-Havel-Gebietes und interessierte Bürger teil. An die vier polnischen Vorträge der RZGW schloss sich eine sehr lebhafte, aber betont sachliche Diskussion an.
Krystyna Araskiewicz, Leiterin des Projektes der Stettiner Wasserbehörde, die einer Wasserwirtschaftsdirektion in Deutschland entspricht, begrüßte die etwa 50 Teilnehmer.
Seit November 2017 werde an dem Konzept gearbeitet. Es betreffe vorerst einen Abschnitt von 54km von insgesamt rund 94km von Widuchowa (Fiddichow) Okm 702,6 nach oberhalb, der in vier Ausbauabschnitte unterteilt sei. Wieder hergestellt werden sollen Buhnen und Deckwerke am östlichen Oderufer, die im Laufe von über 50 Jahren durch Hochwässer und Schäden durch Eisschollen ruiniert seien und neu aufgebaut werden müssten. Der Ausbau diene nicht nur der Verbesserung der Schifffahrtsbedingungen, sondern auch dem Hochwasserschutz und dem Eisaufbruch. Ihre Behörde arbeite eng mit der Generaldirektion Wasserstraßen und Binnenschifffahrt (GDWS) in Deutschland zusammen.
Der Planungsingenieur Lukasz Gontarz der Wasserbaufirma Sweco erläuterte, dass man sich an dem Beispiel der Buhnenwiederherstellung der deutschen Seite bei Reichwein orientiere, das den deutschen Umweltschutzregeln entspreche. Unabhängig von den Anforderungen der künftigen Frachtschifffahrt sei es erforderlich, der Oder eine Tauchtiefe von 1,80m zu garantieren, damit in strengen Winterzeiten der Eisaufbruch von unterhalb nach oberhalb garantiert werden könne. Eisbrecher seien tiefgehende Schiffe, die sich beim Eisaufbruch auf das Eis schieben können müssen, um es so zerbrechen zu können, damit die Schollen talwärts abtreiben können. Fehle diese Tauchtiefe, könne es zu Eiszusammenschiebungen kommen, die bis auf den Flussgrund reichten. Ferner könne sich dann das Eis sich zu Dämmen aufschiebe, was verheerende Überschwemmungen führen könne, wie es einige Male in der Nachkriegszeit vorgekommen sei .
Ablagerungen verhindern
Die Buhnen würden dort wieder aufgebaut, wo noch Reste alter Buhnen vorhanden seien oder neue gebaut und etwas verlängert, damit die Fließgeschwindigkeit der Oder etwas erhöht werde, um Geschiebeablagerungen zu verhindern. Dies käme besonders im unteren Teil der Oder häufig vor, so Gontarz. Mit dem Wiederaufbau von Deckwerken werde ebenso verfahren.
Die Hauptexpertin für Umweltschutzfragen der RZGW, Alicja Wilanowska, berichtete darüber, dass ihre Behörde sehr eng mit der GDWS zusammenarbeite, die bereits nach EU-Standards arbeite und gute Erfahrungen habe, die sie an ihre Behörde hilfreich weitergebe. Das treffe ebenso auf die Zusammenarbeit mit dem WSA Eberswalde zu, das ja nach den EU-Standards bei Reitwein die Beispiele gesetzt habe.
Das Projekt des Ausbaues der Oder würde durch die Weltbank gefördert werden, wenn die Umweltverträglichkeit durch die entsprechenden EU-Organe bestätigt werde. An der Konzeption, die mit 23 Anlagen mehr als 1.000 Seiten fülle, habe auch die Universität von Warschau beratend mitgewirkt.
Pawel Prus von der RZGW gab einen historischen Überblick von der Entwicklung der Oderschifffahrt vom Protokoll von Oderberg (heute Bohomil) vom 7. Juli 1819 bis zur Gegenwart. Im Wesentlichen seien die Beschlüsse von Oderberg bis ans Ende der 30er Jahre des vorigen Jahrhunderts umgesetzt worden. Nach dem zweiten Weltkrieg habe die Republik Polen in den 50er- und 60er-Jahren eine für die Oder und den Oder-Weichsel-Wasserweg beispielhafte Flottenerneuerung vorgenommen. Leider hätten spätere Regierungen dem Kraftverkehr und der Bahn mehr Bedeutung beigemessen als der Binnenschifffahrt und der Pflege der Wasserstraße Oder. Da nun durch die steigende Wirtschaftskraft des Landes Straße und Bahn den Verkehrsbedarf nicht mehr befriedigen könnten, habe man sich der Binnenschifffahrt wieder erinnert, was er sehr begrüße.
Wieder mehr Fischarten
Die Oder als Fluss sei sauberer geworden, weil Industrieabwässer nicht mehr eingeleitet werden dürfen. Verschwunden geglaubte Fischarten seien wieder heimisch geworden und hätten sich eigene Lebensräume erschlossen, die nun erhalten werden müssten. Lachse und Neunaugen hätten sich wieder angesiedelt und andere seltene Fischarten. Sie gilt es nun zu schützen. In den Wanderzeiten dieser Wasserbewohner würden die Bauarbeiten dann auch unterbrochen werden. Auf der rund 90km langen Ausbaustrecke sind 720 Buhnen und 3km Deckwerke wieder herzurichten oder neu anzulegen.
Mehr Für als Wider
Im Anschluss an die Vorträge gab Projektleiterin Krystyna Araskiewicz die Diskussion frei. Als Gastgeber begrüßte der IHK-Verkehrsexperte Robert Radzimanowski die Ausführungen der polnischen Seite. »Hier zeigt sich der Wille auf polnischer Seite, den Hochwasserschutz und die Schifffahrtsbedingungen nachhaltig anzugehen und diesen so umweltverträglich wie möglich zu gestalten.« Das schütze die Kulturlandschaft entlang der Oder und damit auch ihre Bewohner und Betriebe vor Eisschollenaufschub und Winterhochwasser.
Für Ostbrandenburg sei es wichtig, dass die Vereinbarungen des deutsch-polnischen Regierungsabkommens zur Ertüchtigung der Grenzoder aus dem Jahr 2015 verwirklicht würden. Es sei wichtig, die Schwachstellen an der Grenzoder für die Schifffahrt zu beseitigen und besonders im Oderbruchbereich den Einsatz von Eisbrechern stets zu gewährleisten. Mit sanierten Buhnen sei der Oderbruch vor einer mäandernden Oder und vor Hochwasser geschützt und die Frachtschifffahrt könne leistungsfähig verkehren.
Der Stellvertretende Vorsitzende des Oder-Havel-Fördervereins, Horst Linde, stellte fest: »Eine derartige Modernisierung der Oder ist ein erster Schritt in Richtung auf weitere in der Planung befindliche Ausbaumaßnahmen und, soweit es die Schifffahrt betrifft, wäre dies in unmittelbarem Zusammenhang mit vorgeschlagenen Entwicklungsmaßnahmen in Richtung auf in Zukunft einzusetzende innovative Transportsysteme zu sehen«. Geprägt wären sie durch große Verbandsgrößen, Flachgängigkeit, digitalisierte Lenkbarkeit, Unterstützung durch landseitige Assistenzsysteme etc. »Wenn man mit zwei Lagen Containern und rationellen flachgehenden Fahrzeuggrößen zwischen Stettin und Breslau fahren möchte, bleibt also noch einiges zu tun – und dies möglichst bald.«
Der Vorsitzende des Oder-Havel-Fördervereins, Gerhard Ostwald, fügte an: »Die polnischen Planungen verdienen Unterstützung und Hilfestellung, auch, um noch bestehende Schwachpunkte auszugleichen. Die deutsche Politik wäre gut beraten, wenn sie nicht nur die Ziele des Eisaufbruchs und des Hochwasserschutzes ernst nehmen würde, sondern auch ihren ablehnenden Standpunkt bezüglich eines wirtschaftlichen Interesses an der Oderschifffahrt, wenn man an die Wirtschaftsstandorte wie Schwedt, Eisenhüttenstadt und an die Querverbindungen in Richtung Eberswalde, Fürstenwalde usw. denkt, überprüfen würde.«
Eine Frankfurter Stadtverordnete bedauerte die mangelnde Schiffbarkeit der Oder. Durch die extremen und lang anhaltenden Niedrigwässer würden bereits
Flussauen vertrocknen und Bäume absterben. Sie hoffe, dass durch die Ausbaumaßnahmen die Wasserstände wieder angehoben werde könnten. Gleichzeitig befürchtet sie aber auch, dass die angestrebte höhere Fließgeschwindigkeit zur Erosion und zur Eintiefung der Oder führen könnte.
Paradies für Flora und Fauna
Der Leiter des Nationalparkes Unteres Odertal, Dirk Treichel, zeigte Verständnis für die polnischen Ausbaumaßnahmen und vor allem dafür, dass der Hochwasserschutz in strengen Winterzeiten gesichert sein würde. Das Untere Odertal ist eines der wertvollsten Biotope in Mitteleuropa. Schwankende Wasserstände würden Flora und Fauna stark beeinträchtigen. Ein Eisstau mit Hochwasser im Winter hätte sehr nachteilige Folgen für sein Habitat und sollte unbedingt vermieden werden.
Eine Vertreterin der polnischen kommunalen Vereine auf der östlichen Oderseite, die seit 23 Jahren in Küstrin lebt und in jedem Jahr versucht, eine Schiffsfahrt auf der Oder zu unternehmen, bedauert, dass dies in diesem Sommer kaum noch möglich ist. Sie begrüßt daher das Vorhaben, die Oder besser schiffbar zu machen. Küstrin sei eine wachsende Industriestadt. Ein brauchbarer Hafen und eine funktionierende Binnenschifffahrt würden die Stadt, die täglich durch Lkw verstopft sei, sicherlich entlasten. Daher sei sie eine Befürworterin der Ausbauvorhaben. Allerdings zweifele sie etwas an den Ausbauzielen, die der Schifffahrt wohl nicht nachhaltig helfen würden. Man sollte sich überlegen, mittels Staustufen wie oberhalb der Grenzoder, Auen und Wasserstände zu stabilisieren.
Christian Knoll