Mitte Oktober liefen in Brüssel fünf Binnenschiffe mit innovativer Technik im CO2-freien Hafen von Europas Hauptstadt ein. Hochrangige Vertreter der Europäischen Kommission, des Rates und des Parlaments nahmen die Entwicklungen in Augenschein
Diese Hitparade der Binnenschiffs-Innovationen sollte den europäischen Entscheidungsträgern vor Augen führen, wie weit die Entwicklungen in diesem Transportsektor gediehen sind auf dem Weg zu reduzierten Emissionen.
Die fünf Vorreiter für eine noch sauberere Binnenschifffahrt zeigten höchst unterschiedliche Techniken. Ein gas-elektrischer LNG-Tanker war dabei (»Greenstream«), ein hybrid-elektrisches Schiff mit ergänzendem Brennstoffzellen-Wasserstoff-Ansatz (»Emeli«), ein Wasserstoff-Dual-Fuel basiertes Wassertaxi (»Hydroville«), ein hybrid-elektrischer Containertransporter (»Sendo Liner«) und ein Frachter mit einem marinisierten Euro VI Lkw-Motor (»Wantij«).
Einzuordnen ist diese Innovationsparade vor dem Hintergrund der kürzlich veröffentlichten Agenda für Europa: »Eine Union, die nach mehr strebt: Meine Agenda«. Mit diesem Fahrplan will die neue EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen für Europa eine neue strategische Langzeitvision festlegen. Die Binnenschifffahrt, so die Mission des Treffens in Brüssel, biete dazu qualitativ hochwertige Lösungen, um ehrgeizige Herausforderungen der Dekarbonisierung zu bewältigen: mit emissionsfreier Technologie durch batterieelektrische oder gaselektrische Antriebe, durch ultrareine Biokraftstoffe, mit Wasserstoff oder einer Kombination dazwischen.
Binnenschiff im »Green Deal«
Die hochrangigen Vertreter der Europäischen Kommission, des Rates und des Parlaments lobten angesichts der Beispiele im Brüsseler Hafen die innovativen Entwicklungen in diesem Sektor. Sie sehen die Binnenschifffahrt und deren stetige Bemühungen, die EU-Dekarbonisierungsziele zu erreichen, als gute Grundlage, um die Binnenschifffahrt in einen europäischen »Green Deal« einzubinden.
Der Brüsseler Minister für Klimawandel, Umwelt, Energie und partizipative Demokratie, Alain Maron, betonte die Vorteile der Binnenschifffahrt bei der Erreichung globaler und europäischer Emissionsziele: »Heute Nachmittag habe ich an der Präsentation neuer und innovativer Verkehrsmittel der Binnenschifffahrt im Hafen von Brüssel teilgenommen. Elektromotor, Wasserstoff – das sind echte Gelegenheiten für einen Güterverkehr, der die Luftqualität erhöht«, so der Minister.
Um ihre Leistung weiter zu verbessern, strebt die Binnenschifffahrt bis 2030 eine Emissionsreduzierung um mehr als 50% an, bis 2050 will sie komplett emissionsfrei fahren. Das würde eine klimaneutrale und umweltfreundliche Mobilität auf dem Wasser ermöglichen. Um diese Ziele zu erreichen, wird in der Binnenschifffahrt auf eine breite Palette von Technologien gesetzt. Während sich beispielsweise die Automobilindustrie auf den Elektroantrieb zu konzentrieren scheint, gibt es in der Binnenschifffahrt und im Shortsea-Bereich höchst unterschiedliche Lösungsansätze. Abhängig von den Einsatzbereichen und den Gegebenheiten der Fahrreviere werden Projekte mit Elektrotechnik, mit LNG, mit Kombinationen verschiedener Kraftstoffe und ebenfalls mit Brennstoffzellentechnologie auf Wasserstoff- und Methanbasis entwickelt und erprobt. Wie im Straßenverkehr werden auch auf dem Wasser zudem Projekte für unbemanntes Fahren bis hin zum autonomen Betrieb der Schiffe entwickelt.
Mit über 40.000km schiffbaren Wasserstraßen und 250 Binnenhäfen befördert die Binnenschifffahrt rund 560Mio.t Güter pro Jahr und gewinnt im Bereich der Reise- und Personenbeförderung zunehmend an Bedeutung. Bereits heute sind große Industrien in Europa auf eine reibungslose Versorgung mit Gütern über die Wasserwege angewiesen. Die Binnenschifffahrt hält Unternehmen und Handel am Laufen, ermöglicht die Vollendung des Binnenmarktes und fördert den Tourismus.
Im Gegensatz zu den überlasteten Straßen verfügen die europäischen Wasserstraßen nach wie vor über freie Kapazitäten und bieten ein erhebliches Potenzial zur Verkehrsverlagerung. Daher kann die Förderung sauberer und zuverlässiger Verkehrslösungen durch die Binnenschifffahrt und die Binnenhäfen ein höheres Wirtschaftswachstum in den europäischen Wasserregionen ermöglichen und Wohlstand und Lebensqualität steigern.
Über die fünf Demonstrationsprojekte hinaus wurden weitere Konzepte vorgestellt. Diese sind auf diesen Seiten gesondert beschrieben.
»Emeli« mit Brennstoffzelle
Einige der in Brüssel vorgestellten Projekte haben in der Fachwelt bereits eine gewisse Bekanntheit erreicht. Dazu gehört neben dem gas-elektrischen LNG-Tanker »Greenstream« auch der Portliner als hybrid-elektrisch betriebene Containerlösung. Auch der Einsatz marinisierter Lkw-Motoren stellt in der Branche heutzutage keine wirkliche Neuigkeit mehr dar.
Der Brennstoffzellen-Antrieb des Schulungsfrachters »Emeli« hingegen verfolgt einen neuen Ansatz. Der 55m x 7,2 m große Frachter, der heute als Trainingsschiff genutzt wird, verfügt über einen dieselelektrischen Antriebsstrang. Der elektrische Part wird mit einer Brennstoffzelle von 30 kW Leistung versorgt. Gespeist wird die Brennstoffzelle aus einem Wasserstoffspeicher, der mit 12KG bei 200 bar bemessen ist und eine Betriebszeit von zehn Stunden bei voller Leistung zulässt. Dafür wird allerdings auch auf ein bordeigenes Batteriepack zurückgegriffen, in dem 60 kWh gespeichert werden können. Die Emissionen von CO2, Partikeln und NOx sind dabei auf Null reduziert. Der Elektromotor wird für diese Betriebsart auf eine Leistung von 60 kW reduziert.
Das von der Maritimen Akademie Harlingen eingesetzte Schiff ist nicht dem täglichen wirtschaftlichen Wettbewerb ausgesetzt. Um dort mit dieser Technik bestehen zu können, braucht es weitere Entwicklungen, um die Betriebskosten entsprechend zu reduzieren. Auch die Kosten des Wasserstoffs scheinen derzeit nicht wettbewerbsfähig. Hinderlich ist zudem die aktuell schwankende Verfügbarkeit von echtem »grünen« Wasserstoff, der ausschließlich mit Hilfe regenerativer Energien erzeugt worden ist. Optimierungsbedarf wird ebenso bei der Speicherung des Wasserstoffs an Bord gesehen.
Neben den bereits umgesetzten Projekten wurden in Brüssel weitere innovative Konzepte vorgestellt. Dabei geht es um:
• die Nachrüstung eines bestehenden Schiffes mit grüner Wasserstoff-Brennstoffzelle: Projektname »Hydrogene One«.
• das Projekt »Fludis«: Das ist ein voll elektrisches, schwimmendes Lager für die städtische Lieferung mit Lastenfahrrädern
• den »Seafar« genannten Ansatz für unbemannte Schifffahrt, ferngesteuert von Land aus
• Autonome elektrische Schifffahrt für städtische Wasserstraßen mit dem Projektnamen Roboat
»Fludis« ist eine Kombination aus einem Frachtschiff mit 100% elektrischem Antrieb und 30 vollkommen elektrischen Cyclofret-Fahrrädern (Dreiräder) zum Ausliefern und somit besonders für die Citylogistik geeignet. Damit sollen in Paris bis zu 3.000 Pakete pro Tag verteilt werden. Das Schiff fungiert zugleich als schwimmendes Lager, das über die Seine kreist, beginnend mit dem Hafen von Gennevilliers mit vier vorgegebenen Stationen im Zentrum.
Die Fahrräder arbeiten in der Organisation »Milk Run Solution«. Die Pakete werden zugestellt an kleine Unternehmen, Geschäfte und Endkunden. Das Transportvolumen der Dreiräder beträgt 1,7m³ pro Fahrrad. Jedes dieser Räder wird bis zu viermal täglich auf dem Boot beladen mit Paketen bis zu 30 kg sowie einem maximalen Gewicht pro Fahrrad von 250 kg. Das Schiff kann bis zu 12t pro Tag durchsetzen. Die voll beladenen oder leeren Fahrräder werden mit einem bordeigenen Kran zwischen Schiff und Kaikante gehievt.
Ein weiteres, von Future Proof Shipping in Brüssel vorgestelltes Vorhaben betrifft die Nachrüstung eines bestehenden Frachters. Hier wird erstmals ein Binnenschiff (Konzeptname »Hydrogene One«) auch beim Hauptantrieb komplett auf Wasserstoffbasis mit Brennstoffzelle ausgerichtet. Das 110 m lange Schiff erhält 635 kW installierte Leistung für den Elektro-Hauptmotor. Ein auf 300 kWh ausgelegtes Lithium-Ionen-Akkupack soll Stromüberschüsse speichern und für Leistungsspitzen sowie für Bordstrom bei Stillstand bereithalten.
Hermann Garrelmann