Etwa 7.350 km Binnenwasserstraßen, 450 Schleusenkammern, 315 Wehre und
1.300 Brücken über Wasserstraßen gibt es in Deutschland. Etwa 8% des gesamten Güterverkehrs werden auf diesem Wege abgewickelt
Allein auf den Rhein entfallen 80% des gesamten Frachtaufkommens der deutschen Binnenwasserstraßen, in Nordrhein-Westfalen werden knapp 30% des gesamten Güterverkehrs über das Wasser transportiert. Was im Vorreiterland NRW bereits Realität ist, würde die EU-Kommission gerne auch europaweit erreichen: der Anteil des Wassertransportes am Gesamtaufkommen in der EU soll mittelfristig auf 30% steigen, seit bald 20 Jahren allerdings stagniert der Anteil bei rund 6%.
Längst ist eine verlässliche Binnenschifffahrt für die Logistik und Versorgungssicherheit deutscher und europäischer Schlüsselindustrien unverzichtbar. Dass Wasserstraßen nicht nur zur Entlastung der Straßen beitragen, sondern als emissionsärmster und effizienter Verkehrsträger vergleichsweise umweltfreundliche Gütertransporte ermöglichen, gerät vor dem Hintergrund der aktuellen Klimaschutzdebatten immer stärker in den Blick von Politik und Öffentlichkeit.
Abhängig sind diese Transporte von einer bedarfsgerecht ausgebauten und leistungsfähigen Wasserstraßeninfrastruktur mit ausreichend tiefen Flüssen und Kanälen, funktionstüchtigen Schleusen und hochgelegten Brücken. Die zuletzt besonders heißen Sommer und eine außergewöhnliche Niedrigwasserperiode im vergangenen Jahr haben dies deutlich gezeigt: Weil Schiffe den Rhein nicht befahren konnten, blieben Tankstellen leer, Unternehmen mussten ihre Produktion reduzieren und austrocknende Flüsse wurden in der öffentlichen Diskussion zu einem Sinnbild eines spürbar werdenden Klimawandels und die unmittelbare Betroffenheit vieler Menschen.
Messbar ging das Frachtaufkommen zurück, zum Beispiel auf dem Rhein-Donau-Kanal um 350.000 t. Der volkswirtschaftliche Schaden des Niedrigwassers belief sich 2018 auf 1,8 % des BIP.
Gleichzeitig rückte der erschreckend schlechte Zustand der Wasserstraßeninfrastruktur in unserem Land in den Fokus:
• 32 % der Schleusen und 28 % der Wehre sind älter als 100 Jahre
• 24 % der Schleusenanlagen tragen die Zustandsnote ungenügend und erfordern einen kurzfristigen Handlungsbedarf
• 34 Wehranlagen werden derzeit als systemkritisch eingestuft und erfordern eine Investitionssumme von rund 1 Mrd. €
• in den nächsten zehn Jahren sind Ersatzneubauten oder große Grundinstandsetzungen an 18% des Anlagenbestandes erforderlich
Dieser prekäre bauliche Zustand der Wasserstraßeninfrastruktur ist eines der größten Hemmnisse für eine stärkere Nutzung der Binnenschifffahrt. Eine Instandsetzung der bestehenden Infrastruktur, insbesondere im westdeutschen Kanalgebiet, ist dringend erforderlich. Sie wurde aber – darin ist sich die Politik auf Bundes- und Landesebene größtenteils einig – von der Politik jahrzehntelang vernachlässigt.
Der dadurch entstandene, immense Investitionsstau soll nun aufgelöst werden – auch dies ist breiter Konsens in der Politik und gleichzeitig eine gemeinsame Aufgabe für die Bauindustrie und die Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes (WSV) mit ihrer Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt (GDWS) in Bonn.
Mehr Geld, mehr Personal
Damit dies gelingt, hat Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer Anfang des Jahres gemeinsam mit der Industrie einen 8-Punkte-Plan vorgelegt, der unter anderem sicherstellen soll, dass der Rhein eine verlässliche Güterverkehrsoption bleibt. Ein Masterplan Binnenschifffahrt aus seinem Haus soll zudem dafür sorgen, das System Schiff/Wasserstraßen zu ertüchtigen. Der Investitionsrahmenplan für die Verkehrsträger Schiene, Straße und Wasserstraße sieht bis 2023 Investitionen in Erhalt, Aus- und Neubau von Wasserstraßen knapp 3,7 Mrd. € vor; der Bundeshaushalt 2020 weist allein für die Bundeswasserstraßen in Nordrhein-Westfalen ca. 70 neue Stellen für Planungspersonal aus.
Zahlen des Bundesrechnungshofs zeigen, wie nötig diese Stellen tatsächlich sind: 2018 wurden von 573 Mio. € für Ersatz-, Aus- und Neubaumaßnahmen nur rund 436 Mio. € ausgegeben, Stand Dezember 2019 wurden rund 830 Mio. € zur Verfügung stehender Mittel nicht genutzt. Allein der Ersatzinvestitionsbedarf für die Infrastruktur aus dem Bauwerkszustand beträgt laut BMVI jährlich etwa 660 Mio. €. Und trotz der in den letzten Jahren steigenden Stellenzahlen ist die Anzahl der tatsächlichen Mitarbeiter bei der WSV gesunken. Die Differenz zwischen genehmigten und besetzten Stellen wird immer größer, bis zu deutlich über 1.300 nichtbesetzten Stellen im Jahr 2019.
Um Verkehrsprojekte durch Maßnahmengesetze zu beschleunigen, hat die Bundesregierung im November 2019 ein sogenanntes Genehmigungsbeschleunigungsgesetz auf den Weg gebracht: in NRW sind mit der »Abladeoptimierung Mittelrhein« und dem Ausbau des Wesel-Datteln-Kanals einschließlich Brückenhebungen und Schleusen erste Pilotprojekte vorgesehen.
Da die Bauindustrie in den vergangenen Jahren gezwungen war, massiv Kapazitäten abzubauen, brauchen die Unternehmen nun verlässliche und langfristige Investitionszusagen seitens der Auftraggeber. Nur dann können sie die Refinanzierung der überdurchschnittlich teuren Geräteausstattung für den Wasserbau sicherstellen und ihre Personalkapazitäten weiter aufbauen. Denn die anstehenden, großen Wasserbauprojekte werden technisch und organisatorisch anspruchsvoll, da der Umbau der Infrastruktur weitgehend kundenfreundlich und mit möglichst wenigen Einschränkungen für den laufenden Schiffsverkehr umgesetzt werden soll.
Dabei ist klar: Die nun anstehenden Herausforderungen können nur gemeinsam gemeistert werden. Ein engeres Zusammenrücken zwischen der Auftragsverwaltung und der ausführenden Industrie ist sinnvoll und notwendig. Die Bauindustrie hat deshalb beispielsweise ihre Unterstützung bei den Planungskapazitäten angeboten. Derzeit identifiziert die Auftragsverwaltung Pilotprojekte, an denen zum Beispiel Design-and-Built-Modelle gemeinsam umgesetzt werden können. Gelingt der Kulturwandel hin zu partnerschaftlichem Bauen, hin zu einem gemeinsamen Projektverständnis, zur Reduzierung von Schnittstellen und einer fairerer Risikoverteilung, werden am Ende alle profitieren.