Innovationen in der Binnenschifffahrt zielen auf weniger Emissionen und eine bessere Performance beim Antrieb ab. Wichtig werden auch Automatisierung und Navigation
Dem Kurs der »Geoffrey Chaucer«, einem Kreuzfahrtschiff der Reederei Scylla, war auf der Testfahrt Mitte Mai nicht anzusehen, dass es auf langen Strecken wie von Geisterhand gesteuert wurde. Von Hardinxveld-Giessendam zum Hollands Diep wurden intensive Tests durchgeführt, um die Praxistauglichkeit neuer Entwicklungen der Firma Argonics zu prüfen.
Unter Einsatz des ArgoTrackPilot und einer entsprechenden Erweiterung unternahm man eine automatische Folgefahrt eines vorausfahrenden Schiffes mit definiertem Abstand. Gefahren wurde der Kurs einer eigenen Leitlinie, alternativ auch einer Linie, die aus den Positionen des Vordermanns generiert wurde. Der Abstand zum vorausfahrenden Schiff kann frei gewählt werden und lässt sich über eine Längsregelung konstant halten. Dabei zeigte sich, dass die Kombination aus dem TrackPilot und AlphaFuelControl schon jetzt hervorragend funktioniert. Der Einsatz dieser Kombinationen mit der Aufgabe, eine automatische Verfolgung von AIS-Zielen zu ermöglichen, ist ein weiterer Schritt hin zu einem einsatzfähigen Platooning-System.
Dass der ArgoTrackPilot auch auf längeren und windungsreichen Strecken eingesetzt werden kann, zeigte sich auch auf einer Probefahrt mit dem 135 m langen Schiff »Providence« auf der Mosel. Bei einer auf 74 % der Strecke eingesetzten softwarebasierten Schiffsführung ergab sich eine Streckenabweichung von maximal 1,4 m. Schiffsführer Heuvelman konnte seine Begeisterung kaum verbergen: Keine Kurve sei zu verrückt für den Track Pilot. Die beste Erfindung seit Jahren!
Ein weiteres von Argonics entwickeltes Modul, mit dem der Fahrhebel im Steuerstand ein haptisches Feedback bekommt, hat Alexander Lutz bereits im vergangenen Jahr auf der Maritime Industry in Gorinchem vorgestellt. Vorausgesetzt, man hat den ArgoTrackPilot an Bord eingesetzt, wird mit der Ergänzung um den HapticTiller der Fahrhebel adäquat zum gerade gefahrenen Kurs bewegt.
Will der Kapitän selbst eingreifen, um eine Kurskorrektur vorzunehmen, kann er den Tillerhebel einfach überstimmen, indem er eine kleine Widerstandskraft überwindet und ihn in die gewünschte Position bewegt. Nach der manuellen Übernahme lässt er den Tiller wieder los, der sich sodann wieder in die Position begibt, die nötig ist, um die vorgegebene Sollbahn zu fahren. Der TrackPilot wird dabei nicht ausgeschaltet.
Mit einem weiteren Modus kann die zu fahrende Sollbahn nach Backbord oder Steuerbord durch Drehen des Tillers versetzt werden. Die maximale Verschiebung des Kurses kann auf einen Sicherheitskorridor beschränkt werden, der durch Fahrwassergrenzen oder auch von Bauwerken wie Brückenpfeilern markiert wird.
Noch in Arbeit ist der ArgoSafetyPilot als Erweiterung zum TrackPilot. Dabei geht es um eine automatische Kollisionsvermeidung. In Kooperation mit dem Unternehmen in–innovative navigation will Geschäftsführer Alexander Lutz Ende dieses Jahres mit dem Vorhaben beginnen. Die Zusammenführung der Radarobjekt-Verfolgung mit Daten aus dem AIS von in-innovative navigation erlaubt eine genaue Bestimmung von Position, Lage und Geschwindigkeit anderer Objekte auf einem Fluss oder Kanal.
Typische Fahrrouten in Kombination mit dem Abgleich des dynamischen Zustands anderer Verkehrsteilnehmer ermöglichen den Angaben zufolge eine zuverlässige Vorhersage von Position und Lage. Ergänzt um das Wissen über das eigene Schiff werden mögliche Begegnungsbereiche berechnet. Auf der Basis dieser Pfadplanung ermittelt ein Algorithmus kollisionsfreie Sollbahnen, denen der ArgoTrackPilot automatisch folgt. Ziel ist es, dass der ArgoSafetyPilot andere Schiffe eigenständig umfahren und somit die Sicherheit deutlich erhöhen kann.
Die Erfahrungen mit dem ArgoTrackPilot (Alphatron vertreibt das System unter dem Namen AlphaRiverTrackPilot) als erstem System zur automatischen Führung von Binnenschiffen entlang von Leitlinien sind positiv. Die Liste der Einheiten mit Nutzung des TrackPilot reicht von Containerschiffen mit 110 m Länge über Kabinenschiffe mit 135 m Länge bis hin zu über 180 m langen und mehr als 22 m breiten Koppelverbänden. Die Fahrtreviere dieser Schiffe erstrecken sich von den Kanälen in den Niederlanden über Rhein, Main, Main-Donau-Kanal bis zur unteren Donau und lassen eine bis zu 90-prozentige programmbasierte Fahrt zu.
»Der ArgoTrackPilot hat sich dabei als äußerst robustes Assistenzsystem erwiesen, das unabhängig von Beladungszustand, Wind, Wetter und Sichtverhältnissen gleichbleibend geringe Abweichungen von der Sollbahn liefert«, sagt Lutz. Mit dem ArgoTrackPilot seien bereits mehr als 100.000 h automatischer Fahrt erfolgt. Das entspricht knapp 20 Jahren an Fahrtzeit eines Kapitäns ohne Urlaub«, rechnet Lutz mit einem Augenzwinkern zusammen.
Neu und noch in der Entwicklung ist eine Lösung, mit dem eine elektronisch gestützte Kolonnenfahrt von Schiffen ermöglicht will. Ein bemanntes Schiff führt einen Konvoi weiterer Frachter mit reduzierter Besatzung. Die Einheiten stehen mit Hilfe geeigneter Kommunikationsmittel in ständiger Verbindung. Aufgabe von Argonics ist es dabei, das Regelsystem zur automatischen Fahrt auf einer vorgegebenen Bahn sowie zur Beibehaltung eines definierten Abstands zum vorderen Schiff zu entwickeln.
Ein weiteres bei Argonics laufendes Vorhaben mit dem Titel SciPPPer (»SChleusenassIstenzsystem basierend auf PPP (Precise Point Positioning) und VDES für die BinnenschifffahRt«) dient der Entwicklung eines Systems zur automatischen Schleusenfahrt von Binnenschiffen. Dafür wird eine Pfad- und Trajektorienplanung für Position und Nordrichtung durchgeführt. Relativsensoren wie LIDAR (Light Detection and Ranging) sowie hochgenaue GNSS-Sensoren bestimmen bei der anschließenden hochgenau geregelten Ein- und Ausfahrt die Position und Lage relativ zur Schleuse beziehungsweise absolut bis auf wenige Zentimeter und Zehntel Grad. Erfolgreiche eigene Tests habe es bereits am Schiffsführungssimulator der BAW (Bundesanstalt für Wasserbau) in Karlsruhe gegeben, heißt es.
Auf Basis der Forschungsarbeiten aus SciPPPer entwickelt Argonics zudem Assistenzsysteme zum virtuellen Ankern (ArgoAnchor), zur automatisierten Ausrichtung des Schiffes (ArgoHeadingPilot), zur Regelung von Position und Lage des Schiffes (ArgoPositionPilot) sowie zur automatisierten Schleusenfahrt (ArgoLockPilot).
Novimar
Das Akronym NOVIMAR steht für das EU-Projekt »NOVel Iwt and MARitime transport concepts«. Im Mittelpunkt der Untersuchungen steht das Platooning auf Wasserstraßen, auch Kolonnenfahrt genannt oder auch Vessel Train (VT).
Das erste Schiff wird herkömmlich durch einen Schiffsführer gefahren. Die nachfolgenden Einheiten sind elektronisch über Sensoren gekoppelt und fahren mit geregelter Drehzahl der Antriebe sowie adaptierter Ruderlage ihre Position im Verband. Dieses Konzept wird sowohl für Seeverkehre als auch für die Küstenschifffahrt und die Binnenschifffahrt entwickelt und erprobt. Sofern durch diese Technik die Personalstärke reduziert werden kann oder mit Besatzung wie bisher länger gefahren werden darf, sind deutliche wirtschaftliche Vorteile zu erwarten. Vor allem kleinere Schiffe mit anteilsmäßig höheren Personalkosten könnten davon profitieren und ihre Position im Wettbewerb stärken.
Das mit 22 Partnern aus neun Ländern besetzte Konsortium untersucht in NOVIMAR mehrere wirtschaftliche, vor allem aber technische Themen. Langfristig kann, so die Erwartungshaltung, das Vorhaben einen wesentlichen Beitrag zur Entwicklung einer autonomen Schifffahrt liefern.
Hermann Garrelmann