Fitness-Check für EU-Gesetzgebung – Regelungen auf dem Prüfstand

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Insgesamt neun Richtlinien und Verordnungen, die für die Binnenschifffahrt erlassen wurden oder von denen die Binnenschifffahrt auch betroffen ist, werden seitens der Kommission jetzt einem sogenannten Fitness-Check unterzogen. Dabei geht es darum, ob die Vorschriften noch geeignet und zweckdienlich sind:

• Verordnung 11/1960 (Diskriminierung auf dem Gebiet der Frachten und Beförderungsbedingungen)

• Richtlinie 87/540 (Zugang zum Beruf des Unternehmers)

• Richtlinie 2919/85 (Bedingungen für die Inanspruchnahme der Regelung über die RZU)

• Verordnung 3921/91 (Kabotageverordnung)

• Verordnung 1356/96 (Dienstleistungsfreiheit im Binnenschiffsgüter und -personenverkehr)

• Richtlinie 96/75 (Befrachtung und Frachtenbildung)

• Verordnung 718/1999 (kapazitätsbezogene Maßnahmen)

Hinzu kommen zwei Vorschriften aus dem Bereich der sozialen Sicherheit:

• die Ausnahmevereinbarung für Rheinschiffer gem. Art. 16 Abs. 1 der Verordnung 883/2004,

• die Entsenderichtlinie 96/71 und ihre Durchsetzungsrichtlinie 2014/67.

Die Vorschriften zum Marktzugang sind zum Teil schon sehr alt und noch nie evaluiert worden. Bedeutsam ist vor allem die Richtlinie über den Zugang zum Beruf. Die beiden Vorschriften zur sozialen Sicherheit sind etwas jüngeren Datums und für alle Arbeitgeber in der Binnenschifffahrt von großer Bedeutung.

Ausnahmevereinbarung

Die Verordnung 883/2004 sowie die Ausnahmevereinbarung für Rheinschiffer gem. Art. 16 Abs. 1 dieser Verordnung werden den meisten unter dem Stichwort »A 1-Bescheinigung« geläufig sein. Es handelt sich um Zuordnungsregelungen zur Sozialversicherung. Die Ausnahmevereinbarung weicht von der grundsätzlichen Regelung in Art 13 der Verordnung 883/2004 ab und legt das für Rheinschiffer geltende Recht fest.

Wenn der Arbeitnehmer einen wesentlichen Teil seiner Tätigkeit (mindestens 25%) in seinem Wohnsitzstaat ausübt, wird er dem dortigen Sozialversicherungssystem zugeordnet. Liegt der Anteil in seinem Wohnsitzstaat unter 25%, wird er dem Sozialversicherungssystem des Staates zugeordnet, in dem der Arbeitgeber seinen Sitz hat. Esist sehr genau abzuwägen, welche Konsequenzen mögliche Änderungen haben würden. Die Rheinregelung ist für die Situation in der Binnenschifffahrt nach unserer Auffassung sehr sinnvoll.

Entsenderichtlinie

Die Entsenderichtlinie war ein Thema der letzten Zeit, weil 2018 zum Teil umstrittene Änderungen beschlossen wurden, die zum 30. Juli 2020 in den Mitgliedstaaten in Kraft getreten sind. Der Straßengüterverkehr war von diesen Änderungen zunächst ausgenommen, bis modifizierte Regelungen verabschiedet wurden.

In der Binnenschifffahrt sind Entsendungen an der Tagesordnung, ohne dass viele Unternehmer sich vermutlich darüber bewusst sind, dass sie ihre Arbeitnehmer gerade »entsenden«. Ein entsandter Arbeitnehmer ist ein Arbeitnehmer, der während eine begrenzten Zeitraums seine Arbeitsleistung in einem anderen Mitgliedstaat erbringt als in dem, in dem er normalerweise arbeitet.

Der einfache Fall, in dem ein Binnenschifffahrtsunternehmen mit eigenem Personal auf ständig wechselnden Routen auf den europäischen Wasserstraßen unterwegs ist, ist für das Unternehmen in jedem einzelnen Fall eine Entsendung.

Ziel der Entsenderichtlinie ist es, bei der Ausgestaltung der Lohn- und Arbeitsbedingungen bestimmte Mindestbedingungen zu garantieren. Diese Mindestbedingungen werden unabhängig davon garantiert, welches nationale Arbeitsrecht auf den jeweiligen Arbeitsvertrag anzuwenden ist.

Deshalb nennt die Entsenderichtlinie für entsandte Arbeitnehmer in Art. 3 einen Kern zwingender Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen des Aufnahmemitgliedstaates, die unabhängig davon gelten, welches Recht ansonsten auf den Arbeitsvertrag Anwendung findet. Hierzu gehören unter anderem die Regelungen zum Mindestlohn und zu den Arbeits- und Ruhezeiten.

Dieses Ziel ist grundsätzlich richtig. Auch die Arbeitgeber der Binnenschifffahrt haben kein Interesse daran, dass Wettbewerb mit Dumpinglöhnen und Arbeitsbedingungen stattfindet. Allerdings muss man sich anschauen, welcher Verwaltungsaufwand sich im Detail dahinter verbirgt.

Die Arbeits- und Ruhezeiten sind kein Problem, denn sie sind durch die Richtlinie 2014/112 bereits harmonisiert und sollten daher auf den miteinander verbundenen Wasserstraßen der EU eingehalten und kontrolliert werden können. Beim Mindestlohn wird das schon schwieriger.

Sektorspezifische Fragen

Ein Arbeitnehmer in der Binnenschifffahrt wird von seinem Arbeitgeber nicht im eigentlichen Sinn zeitweilig in ein anderes Land entsandt, um dort eine Dienstleistung zu erbringen, sondern er erbringt diese Dienstleistung auf dem Schiff, das ein oder mehrere andere Staaten durchfährt. Der Transport insgesamt ist die Dienstleistung und nicht nur das Entladen in einem eher willkürlichen »Aufnahmestaat«.

Auch für für die Binnenschifffahrt hätten wir daher nach unserer Auffassung gute Argumente, sektorspezifische Anpassungen zu fordern, die den Besonderheiten der Binnenschifffahrt Rechnung tragen und den Verwaltungsaufwand für die Unternehmen in Grenzen halten.

Wir werden über den Fitness-Check weiter berichten.