Kleine Ursache, große Wirkung: Nachdem ein Binnenschiff die Hunte-Brücke bei Elsfleth gerammt hat, ist die wichtige Eisenbahnverbindung zu den Seehäfen Brake und Nordenham unterbrochen. Binnenschiffe erreichen den Hafen Oldenburg nur noch eingeschränkt, Seeschiffe gar nicht mehr.
Noch wird zum Geschehen ermittelt, vermutlich hat der Schiffsführer nicht aufgepasst. Und während am Schiff kaum Schaden entstanden ist, dürfte allein der Bau einer Behelfslösung Wochen dauern, der einer neuen Brücke noch viel, viel länger …
Menschliches Versagen ist – und bleibt offenbar – die häufigste Unfallursache. Wäre diese Havarie mit mehr Technik an Bord vermeidbar gewesen? Vermutlich. Es gibt Warngeräte am Markt, die solche Brückenkollisionen verhindern können. Und was wäre gewesen, wenn das Schiff mit Fernsteuerung unterwegs gewesen wäre? Denkbar, dass ein zusätzlicher Operator in einem Kontrollzentrum, wie es gerade in Duisburg eröffnet wurde, rechtzeitig eingegriffen hätte.
Dieser zweite Standort des belgischen Start-ups Seafar wird als »Meilenstein« gefeiert, der helfen soll, der Binnenschifffahrt, nun auch in Deutschland, einen enormen technologischen Schub zu geben. Ist es eine Revolution? Das wäre vielleicht ein zu großes Wort. Doch zweifelsohne könnte das oft als tradiert und behäbig geschmähte Gewerbe mit Hilfe des teilautonomen Fahrens im Wettbewerb zu anderen Verkehrsträgern aufschließen oder, wie manche Optimisten meinen, im Innovationswettlauf sogar vorbeiziehen. Tatsächlich bietet das jetzt auch auf deutschen Wasserstraßen angewandte Konzept das Potenzial, sprichwörtlich gleich zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen.
Zum einen droht der Binnenschifffahrt ein gewaltiger personeller Aderlass, wenn sich im Verlauf der kommenden zehn Jahre ein Drittel aller Schiffsführer in die Rente verabschiedet. Mit Seafar oder ähnlichen Lösungen könnten mittelfristig die Besatzungsstärke an Bord und die Liegezeiten im Hafen reduziert werden. Mit modernen Arbeitsplätzen, die für eine inzwischen von Vielen geforderte bessere Work-Life-Balance stehen, könnte das Gewerbe deutlich attraktiver werden.
Ebenso wichtig dürfte es werden, diesen Verkehrsträger effizienter und verlässlicher zu machen – das ist es, was die Verlader fordern. Die Binnenschifffahrt muss sich bekanntlich von traditionell beförderten (Massen-)Gütern wie Kohle verabschieden. Stattdessen könnte sie künftig alternative Energieträger wie Ammoniak oder verflüssigtes CO? transportieren. Dafür braucht es moderne Schiffe, hoch qualifizierte Besatzungen und ausgereifte Logistikkonzepte. Allein deshalb könnte es sich lohnen, die Seafar-Idee auf breiter Front aufzugreifen und schnellstmöglich weiterzuentwickeln.