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Die Schifffahrtsgesellschaft des Vierwaldstättersees (SGV) hat das Personenschiff »Bürgenstock« seit mehr als einem Jahr in Betrieb. Es ist mit einem Hybridantrieb ausgestattet, der leise ist und Kraftstoff spart. Eine Zwischenbilanz

Nach zweijähriger Planungs- und Bauzeit war es Ende Mai 2018 so weit: Das neue Shuttle-Schiff »Bürgenstock« der SGV stach feierlich zur Jungfernfahrt in See. Seither verkehrt es auf der Linie Luzern–Kehrsiten-Bürgenstock, täglich von früh morgens bis Mitternacht im Stundentakt.

Der von Shiptec in der Schweiz als Shuttle konzipierte 38m lange und 10,30m breite Katamaran wurde mit der Vorgabe entwickelt, ihn im Luzerner Seebecken nur im Elektromodus gespeist aus Batterien fahren zu lassen – der Schiffsführer schaltet erst auf rund der Hälfte der Strecke auf die Dieselmotoren um.

Die »Bürgenstock« ist eine moderne, innovative und ökologisch sinnvolle ‚Brücke’ zwischen Luzern und dem Bürgenstock Ressort Lake Lucerne.«, sagt Rudolf Stadelmann, Geschäftsführer bei Shiptec: Mit seiner Geschwindigkeit von bis zu 35km/h lege der Katamaran die Strecke in 23 Minuten zurück.

Bei der Konzipierung der Antriebstechnik eruierte Shiptec die jeweils ökonomisch optimalste Variante, mit ähnlich großen Schiffen wurden dafür vergleichbare Fahrprofile gefahren und die Bedarfe und Verbräuche von Antrieb und Bordnetz erfasst. Basierend auf diesen Daten hat man sich für ein parallelhybrides Energie- und Antriebssystem entschieden.

Martin Einsiedler, Leiter Schiffsentwurf und Engineering bei Shiptec, erklärt, dass die Antriebsanlage aus zwei je 552 kW leistenden Scania-Dieselmotoren und zwei permanent erregten Siemens-Synchronelektromotoren mit je 180 kW besteht. »Grundsätzlich nutzen wir beim Fahren außerhalb des Hafenbereichs die Dieselmotoren«, sagt Einsiedler. »Hier arbeiten die Elektromotoren als Generatoren, die die Energie für das Schiff und die Systembatterien liefern. Diese Systembatterien wiederum stellen die Energie für den elektrischen Antrieb und die Bordstromversorgung im Luzerner Seebecken zur Verfügung. Etwa 50% der gesamten Fahrzeit wird rein elektrisch gefahren.«

Komplexes System als Lösung

Um die komplexen Prozesse bei diesem vollhybriden Antriebs- und Energiemanagement reibungslos ablaufen zu lassen und ein ausfallsicheres wie schnelles Umschalten beider Energiequellen zu gewährleisten, sind die Anforderungen an die Antriebssteuerung entsprechend hoch, wie Marius Mudroch von Aventics unterstreicht: »Das komplizierte an der Hybridtechnologie ist, dass wir zwei Antriebsarten haben, die in ihrer Dynamik und ihrem Verhalten unterschiedlich sind.« Der Schiffsführer habe immer die Möglichkeit, je nach Fahrprofil zwischen den Antrieben zu wählen oder kombiniert zu fahren, so Mudroch, der sich bei Aventics seit zehn Jahren auf die Entwicklung von Hybridsteuerungen im Schiffsautomationsbereich spezialisiert hat und sich auch für das Schweizer Projekt verantwortlich zeigt. Die unterschiedlichen Fahrprofile sind dabei in der Steuerung hinterlegt – im Falle der »Bürgenstock« auf dem CAN-Controller des Wago-I/O-SYSTEMs 750.

»Unsere eigenen Steuerungen haben eine begrenzte Anzahl an digitalen wie analogen Ein- und Ausgängen. Daher greifen wir seit Jahren bei größeren Projekten mit vielen Schnittstellen – was bei einem Hybridantrieb der Fall ist – auf die 750er Serie von Wago zurück«, sagt Mudroch. Diese sei für die Aventics-Geräte vorbereitet und darauf programmiert, die Module könnten flexibel zusammengesteckt werden, heißt es.

»Das praktische bei dem 750er-System ist, dass wir die Anzahl der Module selbst bestimmen können, im Fall unseres Hybridmotors sind es insgesamt zehn. Dabei ist der Wago CANopen Controller 750-837 als Kopf gewählt, der sich in Codesys programmieren lässt.«

Ein weiterer Vorteil seien die schnelle Startzeiten: Wird das System eingeschaltet, sei die Steuerung innerhalb von wenigen Sekunden betriebsbereit. »Mit dem CAN-Bus verbinden wir unsere und die Wago-Steuerung, dann läuft das.«

Die Funktionen des Hybridantriebs werden über das Softwarewerkzeug IO-Pro auf Basis von Codesys 2.3 im Wago-Controller programmiert, »unser Controller dient dann im Prinzip nur noch als normales Fernsteuerungsgerät, das Informationen mit dem Wago-System austauscht«, erklärt Mudroch.

Alle Kennlinienumschaltungen sind im 750er-System programmiert, hier werden Daten ausgewertet und weitergegeben. Wählt der Kapitän zum Beispiel den Elektromotor an, bereitet der Controller den Hybridantrieb auf den Elektromodus vor. Abhängig von den Anforderungen kann der Elektromotor dann als zusätzlicher Schub im Boost-Betrieb oder als Wellengenerator benutzt werden. Zudem bereitet die Steuerung analoge Werte wie die Drehzahl des Dieselmotors oder die Hebelposition auf. Über fest im Speicher verankerte Variablen kann sie aber nicht nur programmiert, sondern auch parametriert werden – Parameter stellen zum Beispiel dar, wann Verzögerungszeiten oder andere Funktionalitäten zum Einsatz kommen sollen, die an- oder abgeschaltet werden müssen.

Zwei unterschiedliche Antriebsquellen, mehr Signale – dadurch erhöht sich entsprechend auch die Anzahl der Fehlermöglichkeiten, gibt Mudroch zu bedenken: »Auftretende Fehler müssen von der Steuerung so behandelt werden, dass das Schiff den Anforderungen entsprechend reagiert, zumal für einen Kapitän bei einem Hybrid nicht sofort ersichtlich ist, welcher Teil des Antriebs die Fehlermeldung erzeugt hat.«

Für jeden Modus-Wechsel wird eine Schrittkette gestartet. Nach jedem Schritt kontrolliert die Steuerung, ob er auch vollständig durchgeführt wurde. »Von den Regeln der Klassifikationsgesellschaften wird bestimmt, wie sich das Schiff im Falle eines Fehlers zu verhalten hat«, erklärt Mudroch. Bei einem Seeschiff sollte der letzte Fahrzustand bei einem Fehlerfall möglichst erhalten bleiben, damit der Schiffsführer entscheiden kann, ob er weiterfährt oder den Motor per Notstop ausstellt. Binnenschiffe wie die »Bürgenstock« wiederum würden den zügig bei einem Ausfall ausschalten, »weil sie natürlich relativ schnell in Ufer-Nähe kämen«, so Mudroch weiter.

Die »Bürgenstock« ist nicht das erste Schiff mit elektrischem Antrieb, das auf dem Vierwaldstättersee fährt: Bereits 2017 wurde das Vorgängermodell »Diamant«, von der SGV in Betrieb genommen. Dank des leichten Gewichts, der optimierten Rumpfform und des Hybridantriebs könne dieses Kurs- und Eventschiff rund 20% Energie gegenüber einem konventionellen, dieselbetriebenen Schiff einsparen, heißt es.

Kein Hilfsdiesel an Bord

Die »Bürgenstock« sei zwar mit ähnlichen Komponenten wie das Vorgängerschiff ausgestattet, »wir sind aber noch ein Schritt innovativer geworden«, erklärt Mudroch. Ist die »Diamant« mit einem Hilfsdiesel für die Abdeckung der sehr hohen Bordnetzlasten versehen – im Speziellen bei großen Events, wurde dieser bei der Bürgenstock weggelassen: eine lärm- wie abgasemissionsreduzierende sowie platzsparende Maßnahme.

Und auch das Prinzip der Antriebssteuerung stellt eine Weiterentwicklung dar, unterstreicht der Aventics-Mitarbeiter: »Beim Vorgänger ist es so gewesen, dass der Motor erst einmal auf einen neutralen Zustand gestellt werden musste, um zwischen den Antriebsmöglichkeiten zu wechseln. Dieses Umschalten konnte schon einige Sekunden dauern.«

Elektroantrieb während der Fahrt

Bei der »Bürgenstock« schaltet der Diesel zum Elektroantrieb während der Fahrt zu, nachdem der Schiffsführer den Befehl dazu erteilt hat. »Passagiere bekommen weder das Umschalten noch Zukuppeln oder irgendein Ruckeln mit – das gleicht sich alles von der Antriebsseite aus.«, so Mudroch, für den ein Ende der Entwicklung noch lange nicht erreicht ist. »Solange ich mit Wago meine eigene Steuerung mit Programmen und Ein- und Ausgängen erweitern kann, ist noch vieles möglich.« Dies gelte auch für einen künftigen digitalen Datentransfer zwischen der Steuerung und einer Cloud: »Einen Remotezugriff auf das System haben wir noch nicht, was aber mit den von uns verwendeten, nicht cloudfähigen Controllern zu tun hat. Wenn der Kunde die Anforderungen vorgibt, wäre eine Lösung mit IoT-Controllern von Wago aber sicher eine Option.«

Neben den Komponenten, die Aventics in der Hybdridsteuerung der »Bürgenstock« einsetzt, vertraut das Laatzener Unternehmen auf weitere Wago-Produkte. »Wir setzen zum Beispiel Reihenklemmen der 870er-Serie ein, für künftige Projekte wollen wir die Top Job S einbauen«, so Mudroch.

Zudem greift das Unternehmen auf einen Converter aus der Jumpflex-Serie 857 zurück, um Eingangssignale in passende Frequenzsignale zu konvertieren. »Wir haben eine Firmware bekommen, die in der Form kein anderer hat«, ergänzt Mudroch. So bräuchte man bei Schiffen mit Verstellpropellern zum Beispiel nicht nur lineare Kennlinien, sondern auch Knickkurven, die einen oder mehrere Stützpunkte hätten. Eine Anforderung, die in den Converter einprogrammiert worden ist. Besonders praktisch: Die Schnittstelle ist die gleiche wie beim 750er I/O-System. »Die Zusammenarbeit mit WAGO ist historisch gewachsen, für uns ist der schnelle und flexible Support ein Pluspunkt, aber auch, dass wir beim Einsatz von Komponenten alles aus einer Hand bekommen können«, erklärt Mudroch.