Wenn es nach der durch das BMVI beauftragten Arbeitsgruppe der GDWS geht, würde in Zukunft ein großer Teil der heute streckenkundepflichtigen Abschnitte auf deutschen Wasserstraßen entfallen. Hintergrund ist die EU-Richtlinie 2017/2397 über die Anerkennung von Berufsqualifikationen in der Binnenschifffahrt. Diese regelt in Art. 9, dass die Mitgliedstaaten Binnenwasserstraßen mit besonderen Risiken ausweisen können, sofern dies für die Sicherheit der Schifffahrt erforderlich ist und eine oder mehrere der folgenden Ursachen gegeben sind:
• häufig wechselnde Strömungsmuster und -geschwindigkeiten,
• hydromorphologischen Merkmale,
• das Fehlen angemessener Fahrwasserinformationsdienste beziehungsweise geeigneter Karten,
• einer spezielle örtliche Verkehrsregelung oder
• eine hohe Unfallhäufigkeit, die darauf zurückzuführen ist, dass eine Befähigung fehlt.
Die Wasserstraßenabschnitte, die mit besonderen Risiken versehen sind, müssen bei der EU-Kommission notifiziert werden. Diese kann dann, sofern sie die Maßnahme für nicht gerechtfertigt hält, innerhalb von sechs Monaten ablehnen. Das heißt, die Mitgliedstaaten sind nicht mehr unabhängig bei der Festlegung solcher streckenkundepflichtigen Abschnitten, sondern müssen sich gegebenenfalls der EU-Kommission beugen.
Laut dem vorläufigen Ergebnis der Prüfung wären nur die Oberweser, die Donaustrecke Straubing-Vilshofen, der Oberrhein und die Rhein-Gebirgsstrecke Wasserstraßenabschnitte mit besonderen Risiken. Alle Strecken, die heute noch der Streckenkundepflicht unterliegen, würden entfallen. Das sind mehr als 75%.
Die Binnenschiffer im BDS halten eine Reduzierung in diesem Ausmaß für nicht verantwortbar und sehen die Sicherheit und damit auch die Leichtigkeit des Schiffsverkehrs gefährdet. Viele Unfälle bedeuten auch für die Schifffahrt Behinderung und oftmals sogar längere Sperrungen. Angesichts der Situation gerade auf deutschen Wasserstraßen ist dies nicht hinzunehmen.
Die marode Infrastruktur und lange Niedrigwasserperioden setzen der Zuverlässigkeit der Schifffahrt bereits genug zu. Zusätzliche Behinderungen durch Unfälle würden die verladende Wirtschaft noch mehr veranlassen, alternative Transportmöglichkeiten zu suchen oder Standortverlagerungen zu erwägen.
Das BMVI hatte sich während der Erarbeitung der Richtlinie sehr stark dafür eingesetzt, die Kompetenz für die Ausweisung der Strecken allein den Mitgliedstaaten zu überlassen. »Wir sind daher sehr erstaunt, dass jetzt nicht einmal mehr 25% der Strecken übrigbleiben«, heißt es beim BDS. Die Ausweisung der Streckenabschnitte mit besonderen Risiken müsste die bisher ausgewogene und stets an der Sicherheit des Schiffsverkehrs auf deutschen Binnenwasserstraßen orientierte Haltung des BMVI, der WSV und der deutschen Delegation bei der ZKR widerspiegeln.
Mit dem Inkrafttreten der Richtlinie am 17. Januar 2022 beginnt nicht die Stunde Null für die Binnenschifffahrt. Das Erfordernis der Streckenkunde besteht schon lange und hat sich bewährt. Immer wieder wurden in den letzten 20 Jahren einzelne Strecken diskutiert und die Streckenkundepflicht im Einzelfall reduziert oder aufgehoben. Aber bitte mit Augenmaß!
Die Abmessungen vieler Schiffe sind erheblich größer, und damit ist auch das Manövrieren anspruchsvoller geworden. Gerade auf dem Rhein sind auf nahezu allen Strecken zahlreiche Personenschiffe, Fähren und Flusskreuzfahrtschiffe unterwegs, so dass bei Unfällen auch sehr schnell Personen zu Schaden kommen können. Hinzu kommen die häufigeren Niedrigwasserperioden, die sehr viel Ortskenntnis erfordern. Die Sicherheit des Schiffsverkehrs verlangt daher mindestens genauso viel Streckenkenntnis, wie dies heute der Fall ist.
Wenn die EU-Kommission trotz gestiegener Verkehrsdichte, dem stark erhöhten Aufkommen an Flusskreuzfahrtschiffen, langen Niedrigwasserperioden und den für die jeweiligen Abschnitte aus unserer Sicht erfüllten Voraussetzungen einen Streckenabschnitt nicht für risikobehaftet hält, dann möge sie dies begründen und auch die Verantwortung dafür übernehmen!