Anders als § 426 HGB stellt Artikel 16 CMNI nicht auf einen besonders gewissenhaften Frachtführer ab, der die äußerste ihm zumutbare Sorgfalt angewendet hat, sondern lässt die Beachtung allgemeiner Sorgfaltspflichten ausreichen. Dem Frachtführer wird damit der Entlastungsbeweis im Vergleich zum deutschen allgemeinen Frachtrecht erleichtert. Der im Rahmen des Artikels 16 CMNI anzuwendende Sorgfaltsmaßstab entspricht dem des § 276 BGB sowie der §§ 347 I und § 606 Satz 2 HGB.
Diesem Sorgfaltsmaßstab entspricht ein Frachtführer nicht, der ein Tankschiff zum Beladen vorlegt, dessen Tankräume nicht geeignet sind, die Ladung unversehrt aufzunehmen und zu transportieren. Um sich gemäß Artikel 16 I 2. Hs. CMNI zu entlasten, muss der Frachtführer darlegen und beweisen, dass er eine anerkannte Fachfirma mit der Reinigung der Ladetanks beauftragt, ein gebräuchliches und geeignetes Reinigungsverfahren in Auftrag gegeben und nach der Reinigung ein unabhängiger Sachverständiger das Schiff inspiziert und freigegeben hat. Kommt es dann dennoch zu einer Ladungsverunreinigung im Schiff, haftet der Frachtführer nicht.
Ein Zwischenfrachtführer kann Freistellung von Forderungen des oder Zahlung an den ausführenden Frachtführer weder im Wege der Freistellungsklage, noch im Wege der Zahlungsklage fordern. Das Feststellungsinteresse des Zwischenfrachtführers entfällt bei einem Zahlungsanspruch des ausführenden Frachtführers, eine Zahlungsklage nach den Grundsätzen der Drittschadensliquidation scheidet aus, weil der ausführende Frachtführer eigene vertragliche Ansprüche gegen den Zwischenfrachtführer hat und es deshalb an der notwendigen zufälligen Schadensverlagerung fehlt.
Urteil des Landgerichts Würzburg, Az.: 1 HK O 2185/16 vom 13. Dezember 2019, rechtskräftig.
Die Klägerin verlangt von der Beklagten Freihaltung von allen Forderungen der ebenfalls. Streitverkündeten Firma T wegen angeblich von T gegen sie gerichteter Forderung über insgesamt € 280.800,00 bestehend aus Entsorgungskosten für die Ladung in Höhe von € 126.900,00, einer Frachtforderung zur Entsorgungsstelle in Höhe von € 10.000,00 sowie Liegegeldern in Höhe von € 133.100,00 und weiteren 10.800,00 €.
Widerklagend macht die Beklagte € 29.667,75, davon € 23.000,00 als Schadensersatz für den Ladungsschaden und € 6.667,75 an Sachverständigenkosten, geltend.
Den wechselseitigen Forderungen zugrunde liegt die Beauftragung der Klägerin durch die Beklagte mit der Beförderung von ca. 1.000 t Ammoniumsulfatlösungen (kurz: ASL) von Antwerpen nach Magdeburg …
Vor Beginn der Beladung hat Steigerpersonal der L das TMS »E« besichtigt. Im Zuge der Beladung wurden aus dem Schiff Proben gezogen, deren Analyse nach Ansicht der Beklagten eine Kontamination mit mineralölhaltigen Stoffen ergab. ASL hingegen enthält keinerlei Kohlenstoffbestandteile. Die Beladung wurde sofort gestoppt. Es waren aber bereits ca. 500 t des Produkts in das Schiff gepumpt. Die Beklagte hat sich geweigert die Ladung zurückzunehmen, da sie der Auffassung ist, dass die Klägerin die Ladungskontamination zu vertreten hat. Das Schiff blieb mit der kontaminierten Ladung nach Angaben der Klägerin bis Anfang November 2016 im Ladehafen Antwerpen liegen. Erst am 15. November 2016 hat die Streitverkündete T das Schiff nach Kampen gefahren, wo die kontaminierte Ladung am 21. November 2016 gelöscht wurde …
Die Klägerin beantragt:
1. a. Es wird festgestellt, dass die Beklagte die Klägerin von allen Forderungen der Streitverkündeten freizustellen hat, die diese mit der Begründung erhebt, dass am 23.September 2016 in Antwerpen 540 Tonnen ALS in TMS »E« geladen und nicht mehr gelöscht wurden, insbesondere von Entsorgungskosten für die Ladung in Höhe von 126.900,00 €‚ einer Frachtforderung Antwerpen/Kampen zur Entsorgung in Höhe von 10.000,00 € sowie Liegegeldern vom 21. September bis 15. November 2016 in Höhe von 133.100,00 € und vom 17. bis 21. November 2016 in Höhe von 10.800,00 €‚ insgesamt also 280.800,00 € …
Hilfsweise für den Fall der Unzulässigkeit der Feststellungsklage:
1.a. Die Beklagte wird verurteilt, an die Streitverkündete T Entsorgungskosten für die Ladung in Höhe von 126.900,00 € sowie Frachtkosten in Höhe von 10.000,00 € sowie Liegegelder vom 21. September bis 15. November 2016 in Höhe von 133.100,00 € und vom 17. bis 21. November 2016 in Höhe von 10.800,00 €‚ insgesamt also 280.800,00 € nebst 9 % Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz nach dem Diskontsatz-Überleitungsgesetz seit Klagezustellung zu zahlen …
Die Beklagte beantragt, die Klagen abzuweisen, und erhebt Widerklage mit folgenden Anträgen:
1. Die Klägerin wird verurteilt, an die Beklagte € 29.667,75 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über Basiszins hieraus seit 15. Dezember 2016 zu zahlen …
Aus den Gründen:
Die Klage war abzuweisen und der Widerklage war stattzugeben.
1. Die Feststellungsklage ist unzulässig. Ist eine Klage auf Leistung möglich und zumutbar und erschöpft sie das Rechtsschutzziel, fehlt einem Kläger das Feststellungsinteresse, weil er im Sinne einer besseren Rechtsschutzmöglichkeit den Streitstoff in einem Prozess klären kann. Die auf Feststellung des Anspruchsgrunds gerichtete Feststellungsklage ist dann unzulässig (st. Rspr., vgl. BGHZ 5, 314 [315] NJW 1952, 740 und BGH, NJW-RR 2012, 1223 = WM 2013, 232 Rn. 14; Zöller/Greger, ZPO, 31. Aufl., § 256 Rn. 7 a).
1. a. Die von der Klägerin begehrte die Feststellung gegenüber der Beklagten, die Klagepartei von Forderungen der T in Höhe von insgesamt 280.000 € freizustellen, ist unzulässig, weil die Klägerin wegen der bezifferbaren Forderungen vorrangig im Wege der Leistungsklage vorzugehen hat.
Die in der Anlage K 6 in Bezug genommene Rechnung der T vom 15.11.2016 kann allenfalls geforderten Liegegeldansprüche in Höhe von 133.100 € betreffen. Insoweit war die Leistungsklage vorrangig.
Hinsichtlich der Entsorgungskosten in Höhe von 126.900 € ist T durch die P & I Versicherung nach Vortrag der Klägerin entschädigt worden sein. Losgelöst von der Aktivlegitimation führt auch dies dann zu einem Vorrang der Leistungsklage. Auch die 10.000 € Frachtkosten zur Entsorgungsstelle konnte die Klägerin schon bei Klageerhebung beziffern. Auch insoweit besteht ein Vorrang der Leistungsklage. Entsprechendes gilt auch für das Liegegeld in Höhe von 10.800,00 €.
Die Klägerin hätte somit die Freistellung von diesen Forderungen (Leistungsklage) und nicht nur die Feststellung der Pflicht zur Freistellung (Feststellungsklage) begehren müssen …
b. Die Klägerin kann die hilfsweise geltend gemachten Zahlungsansprüche in Höhe von insgesamt 280.000,00 € auch nicht im Wege der Drittschadensliquidation geltend machen.
aa. Die Grundsätze der Drittschadensliquidation kommen auch im Seefrachtrecht zur Anwendung …
Für die Zulassung einer Drittschadensliquidation ist wie dargelegt der Gesichtspunkt maßgebend, dass der Schädiger keinen Vorteil daraus ziehen soll, wenn ein Schaden, der eigentlich bei dem Vertragspartner eintreten müsste, zufällig auf Grund eines zu dem Dritten bestehenden Rechtsverhältnisses auf diesen verlagert ist (vgl. BGH, DNotZ 1983, 509 = WM 1983, 416). Die Anwendung der Grundsätze der Drittschadensliquidation scheidet aus, wenn die Drittschadensliquidation zu einer dem allgemeinen Vertragsrecht widersprechenden Schadenshäufung führen würde (vgl. BGH NJW 2016, 1089).
Das Gericht kann vorliegend keine solche zufällige Schadensverlagerung auf Grund eines Rechtsverhältnisses zwischen der Klägerin, der Beklagten und der T sehen. Vielmehr besteht nach dem Vortrag der Klägerin eine frachtrechtliche Vereinbarung mit ihr und der T als ausführende Frachtführerin. Damit hat die T eigene vertragliche Ansprüche gegen die Klägerin in Bezug auf Liegegeld, Entsorgungskosten und Zusatzfrachtkosten und, den Klägerinvortrag unterstellt, dies auch der Höhe nach (ebenso OLG Nürnberg RdTW 2018, 344; ZfB 2018, SaS 2513 ff). Auf Schadensersatzansprüche gegen die hiesige Beklagte müsste die T insoweit nicht ausweichen. Die den §§ 249 ff. BGB zugrundeliegende Entscheidung, dass dem nur mittelbar Geschädigten kein eigener Schadensersatzanspruch zusteht, führt vorliegend nicht zu einer ungerechtfertigten Entlastung des vermeintlichen Schädigers (Beklagte). Vielmehr könnte die Klägerin ihrerseits die Beklagte in Regress nehmen, soweit die T ihrerseits gegen die Klägerin vorgegangen ist. Die für die anerkannten Fallgruppen der ausnahmsweisen Zulassung der Drittschadensliquidation notwendigen Verlagerung des Schadens auf den mittelbar Geschädigten und damit einhergehenden ungerechtfertigten Entlastung des Schädigers (Beklagte) von seiner Ersatzpflicht, liegt in der hier gegebenen Fallkonstellation gerade nicht vor …
Die Klage war daher insgesamt abzuweisen.
II. Zur Widerklage
Die zulässige Widerklage ist gegen die Klägerin gemäß Artikel 16, 29 … CMNI in Höhe von 29.667,75 € begründet …
a. Anders als § 426 HGB stellt das CMNI damit nicht auf einen besonders gewissenhaften Frachtführer ab, der die äußerste ihm zumutbare Sorgfalt angewendet hat. Vielmehr lässt es die Beachtung allgemeiner Sorgfaltspflichten ausreichen. Dem Frachtführer wird damit der Entlastungsbeweis im Vergleich zum deutschen allgemeinen Transportrecht erleichtert. Damit entspricht der durch Art. 16 1, 2. Hs. CMNI vorgegebene Sorgfaltsmaßstab dem des § 276 BGB, des § 347 1 HGB und des § 606 S. 2 HGB (OLG Hamburg RdTW 2014, 239; Ramming Hamburger Handbuch zum Binnenschifffahrtsrecht, 2009, Rz. 448).
b. Auf den Haftungsausschlussgrund des Art. 16 I, 2. Hs. CMNI kann sich die Klägerin nach dem Ergebnis der vom Gericht durchgeführten Beweisaufnahme nicht mit Erfolg berufen. Denn die Einholung des schriftlichen Sachverständigengutachtens hat ergeben, dass die Klägerin die ihr obliegenden Sorgfaltspflichten nicht beachtet hat und deshalb die Kontamination für sie nicht unvermeidbar i. S. d. Art. 16 I CMNI war.
aa. Nach Art. 3 Abs. 3 S. 2 CMNI hat der Frachtführer vor und bei Antritt und während der Reise die gehörige Sorgfalt anzuwenden, damit das Schiff im Hinblick auf die zu befördernden Güter in ladetüchtigem Zustand, fahrtüchtig, bestimmungsgemäß ausgerüstet und bemannt ist.
Es obliegt dem Frachtführer darzulegen und zu beweisen, dass diese Mängel trotz Anwendung der gehörigen Sorgfalt vor Beginn der Reise nicht zu entdecken waren (Münchner-Kommentar, HGB/Otte, 4. Aufl. 2020, CMNI Art. 3 Rn. 14) …
Ebenso, wie sich ein Absender darauf verlassen kann, dass der Frachtführer ein Transportmittel gestellt hat, das vertragskonform sauber ist (BGH VersR 1969, 228, 229; Koller, TranspR, 9. Aufl., § 412, Rn. 5, S. 123), kann er sich auch darauf verlassen, dass sein Gut in geeigneten Tanks befördert wird und nicht durch Materialreste in Rohrleitungen oder an der Tankbeschichtung verunreinigt wird.
dd. Er braucht das Transportmittel nicht auf Mängel zu überprüfen, darf aber erkannte oder evidente Mängel nicht ignorieren (Koller, ebenda). Dass hier die Ungeeignetheit der Tanks bzw. der Rohrleitungen für die Klägerin bzw. den für die Verkäuferin des ASL tätigen Steiger auf ersten Blick ersichtlich war, ist nicht dargetan. Selbst wenn man der Klägerin ein mögliches Verschulden des Steigers, der die Laderäume kontrolliert hat zurechnet, würde dieses Verschulden vor dem Hintergrund, dass ein Binnenschiffer sein Schiff selbst kennen muss, insgesamt zurücktreten (OLG Hamburg RdTW 2019, 424; ZfB 2019 SaS 2621 f). Dies folgt letztlich auch aus Art. 16 CMNI der dem Frachtführer eine Spezialhaftung für bestimmte Schadensformen (Koller, 9. Aufl. 2016, CMNI Art. 16 Rn. 1) auferlegt und diesem einen Entlastungsnachweis ermöglicht.
ee. Die Klägerin und Widerbeklagte ist als Frachtführerin von ihrer Haftung für die Verunreinigung nach Art. 16 1 Hs. 2 CMNI nur entlastet, wenn sie ein taugliches Schiff stellt, eine anerkannte Fachfirma mit der Reinigung der Ladetanks beauftragt, ein gebräuchliches und geeignetes Reinigungsverfahren in Auftrag gibt – hier: das Butter-Wash-Verfahren – und nach der Reinigung ein unabhängiger Sachverständiger das Schiff inspiziert und freigibt. Wenn es dann trotzdem durch eine unbekannte Begebenheit zu der Verunreinigung auf dem Schiff kommt, haftet ein Frachtführer dafür nach der CMNI nicht (LG Hamburg RdTW 2017, 399).
Weder das erforderliche Reinigungsverfahren, noch eine anschließende sachverständige Prüfung wurden durch die Klägerin veranlasst …
Anmerkung der Redaktion:
Das Landgericht Würzburg hatte über Ansprüche eines Zwischenfrachtführers zu entscheiden, der im eigenen Namen (Freistellung, respektive Begleichung von) Schäden des ausführenden Frachtführers und dessen Versicherer geltend gemacht hat.
Leider hatte das Landgericht Würzburg aus prozessrechtlichen Gründen keine Veranlassung über die Frage zu entscheiden, ob ein Absender bei einer angeblichen Kontamination des Produktes im Schiff verpflichtet bleibt, das ihm nach wie vor gehörende (verunreinigte) Produkt wieder zurückzunehmen. Der Liegegeldanspruch war nur allein deshalb entstanden, weil der Absender sich geweigert hatte, das Produkt zurückzunehmen.
Die prozessrechtliche Begründung der Klageabweisung ist wenig überzeugend. Die Feststellungsklage (Freistellungsklage) soll unzulässig sein, weil eine vorrangige Leistungsklage möglich sei, die Leistungsklage dagegen soll unzulässig sein, weil keine zufällige Schadensverlagerung im Sinne der Drittschadensliquidation eingetreten sei. Es ist schon sehr fraglich, ob der ausführende Frachtführer einen Direktanspruch gegen den (Haupt-)Absender hat. Das Gesetz regelt in § 437 HGB und Artikel 4 CMNI nur den umgekehrten Fall, nämlich den Direktanspruch des Absenders gegen den ausführenden Frachtführer. Angesichts der weiten Auslegung der Grundsätze der Drittschadensliquidation im Transportrecht sollte der Zwischenfrachtführer, der den Anspruch hat, die Zahlung an den ausführenden Frachtführer, der den Schaden hat, verlangen können. Mindestens aber muss der Zwischenfrachtführer das Recht haben, Freistellung von Forderungen des ausführenden Frachtführers zu verlangen. Angesichts unterschiedlicher Haftungsregime in Frachtführerketten und angesichts der komplexen Rechtslage zur Verjährung muss jedes Glied einer Frachtführerkette die Möglichkeit haben, Freistellung von der einen Seite zu verlangen, bevor die andere Seite Zahlung erhalten hat. Dies geschieht regelmäßig und zweckmäßigerweise durch eine Freistellungsklage, gegebenenfalls unter Streitverkündung. Wegen der erheblichen Dauer eines Regressprozesses muss es auch vor Zahlung des Schadenersatzes möglich sein, den Regress zu sichern durch Titulierung eines Freistellungsanspruches.
Hinsichtlich des Anspruches auf Ersatz von Ladungsschaden, den der beklagte Absender widerklagend geltend gemacht hatte, hat das Landgericht Würzburg sich im Urteil nicht mit der Frage auseinandergesetzt, ob die Verantwortung für die Anforderungen an ein zu beladendes Tankschiff beim Absender als Warenfachmann oder beim Frachtführer als Transportfachmann liegt. Es gibt gute Argumente dafür, dass der Absender als Warenfachmann verpflichtet ist, konkrete Reinheitsanforderungen an die Tanks eines Tankschiffes nach den im CDNI legaldefinierten Begriffen zu fordern und auch die Kosten dafür zu tragen, wie das Handelsgericht Antwerpen (ZfB 2019, SaS 2628 f) kürzlich entschieden hat.
Rechtsanwalt Dr. Martin Fischer,
Frankfurt am Main