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Auch in der Binnenschifffahrt bringt neue Technik stetigen Wandel. Scheinbar unaufhaltsam werden Lösungen für eine technisch unterstützte Navigation entwickelt, bis hin zum visionären autonomen Fahren

Im Windschatten von Diskussionen über die Umweltbelastung durch Binnenschiffe, über mangelnde Liegeplätze und den Unterhaltungsstau auf deutschen Wasserstraßen gibt es vielfältige Ansätze, den Betrieb von Binnenschiffen mit neuer Technik zu unterstützen. Das wurde auf dem Duisburger Kolloquium »Das Schiff im Spannungsfeld von Umweltverträglichkeit und Wirtschaftlichkeit« deutlich.

Volker Müßig, Leiter des Schulschiffs Rhein, hatte in seinem Referat den Bogen gespannt vom Einbaum als erstes »Schiff« bis hin zum heutigen großen und mit aller Technik ausgestatteten Transportfahrzeug. Seine Schlussfolgerung, die eher einer Hoffnung glich: »Aber es war und ist für alle Zukunft hoffentlich so, dass immer Menschen an Bord der Schiffe waren, die sich um das Schiff kümmern mussten.«

Gleich in mehreren weiteren Referaten aber konnten Zweifel aufkommen an der Notwendigkeit von Menschen an Bord. Alexander Schmidt von Bearing Point skizzierte den digitalen Schifffahrtsassistenten, der derzeit in einer Erprobungsphase läuft.

Dieter Schramm von der Uni Duisburg gab einen Überblick über autonomes Fahren von Kraftfahrzeugen, dessen Status und die zu erwartenden Entwicklungen. Auch hier ließen sich analoge Entwicklungen erkennen, die den Schiffsführer nicht mehr so fest an seinen Stuhl im Steuerhaus bindet. Benjamin Friedhoff von der DST in Duisburg trug Konkretes bei: Platooning auf Wasserstraßen, eine Technik, die im Projekt Novimar im Mittelpunkt steht.

Der Begriff Novimar steht für »Novel Iwt and Maritime Transport Concepts«, also neue Konzepte für Binnenwasserstraßentransporte und maritime Transportkonzepte. Kern der Untersuchungen innerhalb dieses Projekts ist das sogenannte Platooning auf Wasserstraßen, also die gekoppelte Kolonnenfahrt im Vessel Train (VT) genannten Verbund.

Dabei wird das erste, führende Schiff konventionell durch einen Schiffsführer kontrolliert und gesteuert. Die nachfolgenden Schiffe sind flexibel und mit Hilfe digitaler Technik elektronisch gekoppelt und halten mit geregelter Drehrate der Antriebe und Ruderlage ihre Position im Verband. Jedes Fahrzeug soll so ausgestattet sein, dass es beide Rollen übernehmen könnte. Die dahinter stehende Technik soll, so die Erwartung, aus verfügbarer marktreifer Technik zusammengestellt und in Bestandsschiffe integriert werden können. Dieses Konzept wird für zwischenkontinentale Seeverkehre, für die Fluss-See Schifffahrt und die Binnenschifffahrt entwickelt und schrittweise erprobt.

Die dahinter stehende Erwartung beschrieb Friedhoff so: »Wenn durch diese Technik die Besatzungsstärke reduziert oder mit normaler Besatzung länger gefahren werden darf, sind erhebliche wirtschaftliche Vorteile zu erwarten. Dies kommt besonders kleineren Fahrzeugen mit höheren Personalkostenanteilen zugute.« Dank der so gestärkten Wettbewerbsfähigkeit von kleineren Einheiten, könne der Vessel Train indirekt auch eine tiefere Hinterlandversorgung durch das Binnenschiff bewirken.

Das Projekt-Konsortium mit 22 Partnern aus neun Ländern untersucht zahlreiche wirtschaftliche und technische Themen. Dazu gehören auch Fragestellungen zur notwendigen Kommunikation, Sensorik und Regelung der Schiffe. Gleichzeitig werden auch gesellschaftliche sowie rechtliche und regulatorische Bedingungen betrachtet. Langfristig, so die Hoffnung, könne das Projekt einen wesentlichen Baustein auf dem Weg zur vollautonomen Schifffahrt liefern.

Dennoch, so Friedhoff, sei dies kein Angriff auf die Arbeitsplätze in der Schifffahrt. Vielmehr solle das Personal von Routineaufgaben entlastet werden. Zudem stünden Hoffnungen dahinter, auch Kraftstoffeinsparungen erzielen zu können. Sehr wohl könne aber das Platooning einen Beitrag zu erhöhter Sicherheit liefern. Aus der Unfallstatistik gehe hervor, dass sich 50% aller Unfälle auf Kollisionen zwischen Schiffen oder zwischen Schiff und Land/festen Einrichtungen bezögen. Dabei sei in 77% der Fälle menschliches Fehlverhalten ursächlich. »Da ist noch Potenzial«, so Friedhoff.

Unsicherheiten bei Konvois

Anhand diverser Folien demonstrierte der DST-Experte, welche Fragen sich bei den Interaktionen der Wasserfahrzeuge ergeben. Besonders deutlich werde dies bei Bergfahrten mit Blauer Tafel. Da berge ein Konvoi mit kurzen Abständen zwischen den Schiffen schon Risiken. Ebenfalls seien noch Szenarien zu untersuchen, wie sich der Konvoi bei der Ein- und Ausfahrt von Schleusen verhalten müsse oder könne. Auch die einfache Situation, wenn Sportfahrzeuge den Konvoi queren würden, werfe Fragen auf. Von Interesse sei auch die Untersuchung, welche Abstände und welche Versätze in der Fahrtlinie oder Bahnführung die besten Ergebnisse erzielen würden. Modellversuche hätten verschiedene gegenseitige Beeinflussungen zwischen den beteiligten Schiffen ergeben. So müssten die Folgen von Bugstaus noch weiter untersucht werden.

Hinsichtlich möglicher Personaleinsparungen musste Friedhoff die Erwartungen begrenzen. Wenn auf kleinen Schiffen ein Schiffsführer und ein Matrose an Bord seien, ließe sich da nicht viel reduzieren. Da ergebe aber die Frage nach der Anrechnung von Fahrtzeiten einen Sinn oder nach flexibler Planung von Ruhezeiten. Darüber hinaus könnten durch (teil)autonom fahrende Einheiten Verkehre wirtschaftlich(er) werden, die es heute nicht sind. Auch neue Angebote wie reine digitale Schleppfahrzeuge könnten sich aus Sicht der Projektpartner ergeben. Allerdings, so schränkte Friedhoff ein, seien auch noch zahlreiche Fragen der Dateninfrastruktur zu klären: »Da ist noch eine ganze Menge zu tun.«

Das Projekt Novimar untersucht aber nur die technischen Fragestellungen. Auch die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, die technischen Notwendigkeiten, vielschichtige Sicherheitsaspekte sowie die Auswirkungen auf das Arbeitsumfeld und den erforderlichen Qualifizierungsrahmen werden hinterfragt. Novimar wird über vier Jahre laufen und ist mit rund 8 Mio. € durch EU-Mittel finanziert.


Hermann Garrelmann