BfG, Niedrigwasser
Sandbänke im Rhein südlich von Bacharach (Foto: Suzanne Breitbach/BfG)
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Binnenschiffer und Akteure der Transportbranche können sich offenbar künftig weitaus länger auf bevorstehende Niedrigwassersituationen einstellen. Forscherinnen des Alfred-Wegener-Institutes, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI), haben eine Methode zur Langzeitwasserstandsprognose entwickelt.

Wasserstände an deutschen Flüssen ließen sich mit herkömmlichen Methoden etwa sechs Wochen im Voraus vorhersagen, heißt es. Deshalb hätte der Dürresommer 2018 mit extremen Niedrigwassern in Rhein und Elbe nicht nur die Binnenschiffer überrascht, sondern auch die meisten Verantwortliche in Raffinerien, Stahlwerken und Chemiekonzernen entlang der Flussläufe. Viele der von Schiffstransporten abhängigen Firmen vermeldeten alsbald Lieferengpässe und Produktionsausfälle.

Dieser wirtschaftliche Schaden hätte sich durchaus verhindern lassen, wären damals moderne Vorhersagemethoden zum Einsatz gekommen, sagen die Forscherinnen des AWI. Sie haben inzwischen ein Berechnungsmodell zur langfristigen Vorhersage von Durchflussmengen in Flüssen entwickelt und nach eigenen Angaben bereits einem Härtetest unterzogen.

Niedrigwasserereignisse bis zu drei Monate im Voraus vorhersagen

Das Ergebnis: Mithilfe der von ihnen verwendeten globalen Meeres- und Klimadaten konnten das Elbe- und Rhein-Niedrigwasser bereits drei Monate vor ihrem Eintreten zuverlässig vorhergesagt werden.

Wasserstände von Flüssen zuverlässig über einen Zeitraum von mehr als sechs Wochen vorherzusagen, sei bis vor fünf Jahren unmöglich gewesen. Im Jahr 2015 sei es Monica Ionita dann aber gelungen, ein statistisches Berechnungsmodell zu entwickeln, mit dem sie auf Basis aktueller Meeres- und Klimadaten »ziemlich genau« abschätzen könne, wieviel Wasser künftig an verschiedenen Stellen eines ausgewählten Flusses fließen werde.

»Für uns war der extreme Sommer ein willkommener Härtetest, mit dem wir unsere Vorhersagemethode noch einmal bis in das letzte Detail überprüfen konnten«, sagt Ionita.

Mithilfe ihres statistischen Verfahrens konnten Monica Ionita und ihre AWI-Kollegin Viorica Nagavciuc laut AWI die Entwicklung der Wassermengen in Elbe und Rhein über einen Zeitraum von bis zu drei Monaten treffend vorhersagen – auch die extrem niedrigen Pegel im Spätherbst 2018.

»In der Praxis sieht es so aus, dass wir bis Ende Mai eines Jahres sagen können, wie sich die Durchflussmengen und damit auch die Wasserstände bis Ende September desselben Jahres in etwa entwickeln werden. Wir können dann abschätzen, ob sie im Vergleich zu Vorjahren niedriger, ähnlich oder höher ausfallen werden. Die zu erwartende Wasserabflussmenge berechnen wir mittlerweile drei Monate im Voraus – das heißt, von diesem Zeitpunkt an nennen wir dann auch konkrete Zahlen«, erklärt die Wissenschaftlerin.

Meeres- und Klimadaten werden zu Rate gezogen

Die Grundlage der Analyse bildeten globale Meeres- und Klimadaten aus fast sieben Jahrzehnten, heißt es. In diesen Datensätzen suchen die beiden AWI-Wissenschaftlerinnen nach Zusammenhängen zwischen der Wassermenge im ausgewählten Fluss und entscheidenden Wetter-, Meeres- oder Bodenparametern wie der Oberflächentemperatur in bestimmten Meeresregionen und dem dort vorherrschenden Luftdruck. Eine wichtige Rolle spielten außerdem die Temperatur, der Niederschlag und die Bodenfeuchte im Quell- und Einzugsgebiet des jeweiligen Flusses.

Für die Wasserstände in Rhein und Elbe sei die Meeresoberflächentemperatur des Nordatlantiks der alles entscheidende Faktor. Sie beeinflusse das Wetter in Mitteleuropa maßgeblich und entscheide vereinfacht gesagt, »auf welchen Bahnen Sturm- und Regengebiete ziehen werden«, erklärt Ionita.

Als »verlässlich« identifizierte Zusammenhänge speisen die Wissenschaftlerinnen als statistische Berechnungsgrundlage in ihr Modell ein – und das nicht für alle Flüsse auf einmal, sondern für jeden Einzelnen ganz individuell. Anschließend passen sie ihr Modell an die entsprechenden Jahreszeiten an. Für ein und denselben Fluss könnten im Frühjahr nämlich völlig andere Einflussgrößen relevant sein als im Herbst.

Vorhersagemodell aus Echzeitdaten entwickelt

Für konkrete Vorhersagen sammeln die AWI-Forscherinnen dann Echtzeitdaten aller relevanten Wetter- und Umweltparameter aus den zurückliegenden Monaten und lassen diese in das statistische Modell einlaufen. Per Computer berechnen sie dann, welche Menge Wasser im anvisierten Zeitraum an einer bestimmten Stelle im Fluss fließen wird. Auf Basis dieser Zahl können die Forscherinnen im Anschluss die künftige Entwicklung der Wasserpegel abschätzen.

Zuverlässige Langzeitvorhersagen der Wasserstände sind für die Binnenschifffahrt und alle abhängigen Firmen so wertvoll wie passende Wetterprognosen für die Landwirtschaft. Je eher alle Verantwortlichen Bescheid wissen, desto vorausschauender und kostensparender können sie planen.

»Wir hoffen, dass wir mit unserer neuen Studie noch viel mehr Akteure von unserer Arbeit überzeugen können. Überraschungen und Produktionsausfälle wie zum Ende des Dürresommers 2018 muss es künftig nicht mehr geben. Mithilfe unserer Berechnungen wissen wir nämlich jederzeit ziemlich genau, wie sich die Wasserstände in Deutschlands wichtigsten Flüssen entwickeln werden«, sagt Ionita.